Buchbesprechung

«Das Lexikon der alten Gemüsesorten»

Serena, Marianna; et al. Das Lexikon der alten Gemüse-
sorten. 800 Sorten – Geschichte, Merkmale, Anbau und
Verwendung in der Küche. atVERLAG, 4. Auflage 2021.
671 Seiten. ISBN 978-2-03800--620-6. Auch als E-book
erhältlich.

von Sabine Vuilleumier

(23. September 2021) Vier Organisationen aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und Liechtenstein* haben gemeinsam «ein Standardwerk, das neue Massstäbe setzt» herausgebracht, das 2021 bereits in der 4. Auflage vorliegt. Über 800 Gemüsesorten werden in fundierten Porträts vorgestellt. Es wird berichtet, woher die Gemüsesorten kommen und wie alt sie sind, wo sie angebaut wurden, wer sie entwickelt und gepflegt hat.

Im Kapitel über Erbsen und Kefen zum Beispiel finden sich nach einer Einführung zur Geschichte, der Bedeutung heute, der Sortenvielfalt, dem Anbau, den Inhaltsstoffen und der Heilwirkung 19 Sorten mit ihren Namen, ihren Merkmalen, Hinweisen für den Anbau und zur Erhältlichkeit: Born, Corne de Bélier, Doré de Revermont, Früher Heinrich, Winterkefe Frieda Welten u.a.m. – jede Sorte hat ihre eigene Identität, die im Lexikon genau beschrieben und von einer schönen Abbildung begleitet wird. Die Winterkefe Frieda Welten stammt von einer Schweizer Biogarten-Pionierin aus Spiez im Berner Oberland, die Pflanze wird bis über 2 Meter hoch und bildet Paare von violetten Blüten, ihr Anbau wird genau erklärt.

In unseren Supermärkten hingegen sind die Regale voll von Tomaten, Zucchini, Auberginen und Paprika, deren Identität und Herkunft sich nicht eruieren lässt – so schreibt der Geschäftsführer von ProSpecieRara, Béla Bartha. Steht doch einmal eine Namensbezeichnung auf einer Packung, so ist wiederum Vorsicht geboten, beschreibt diese doch häufig nicht die Sorte selbst, sondern eine beliebige Marke, die im Besitz eines Agrarkonzerns ist und keine bestimmte Sorte benennt. Das Verschwindenlassen der Identität hat System. «Sortentreue stünde im Gegensatz zum Zeitgeist und zum Diktat des Marktes, der immer Neues produzieren will und muss, da Patente und Sortenschutz bei den angebotenen Nahrungspflanzen nach rund fünfundzwanzig Jahren auslaufen und es dann für die Industrie an der nun ungeschützten Sorte nichts mehr zu verdienen gibt.»

ProSpecieRara, Arche Noah, ProSpecieRara Deutschland und Hortus machen das Saatgut für jedefrau und jedermann zugänglich, indem sie bei jeder Gemüsesorte eine Bezugsquelle angeben.

Porträts von Menschen, die sich für die Erhaltung alter Kulturpflanzensorten einsetzen

Zwei Beispiele seien hier erwähnt: eine 26-jährige Pharmaassistentin hat die unbenutzte Dachterrasse ihres Wohnhauses in der Stadt Zürich nach Absprache mit der Vermieterin in eine kleine, feine Gartenperle verwandelt. Dort zieht sie Tomaten, Fenchel, Erbsen, Salat und Mangold. Im Spätsommer habe sie eine reiche Ernte gehabt und extrem viel Tomatensalat gegessen, meist nur mit etwas Olivenöl, Salz und Pfeffer. Der Eigengeschmack sei so delikat, dass Sauce oder Essig zu stark gewesen wären. Da sie bei ProSpecieRara samenfeste Sorten bekomme, müsse sie nicht jeden Frühling Geld für Setzlinge ausgeben, sondern könne von einmal erworbenen Sorten selber immer wieder Saatgut ernten und daraus selber Setzlinge ziehen.

Im Porträt «Hinter schwedischen Gardinen» beschreibt ein Arbeitsagoge und gelernter Landschaftsgärtner, wie er mit Straftätern in der Gefängnisgärtnerei arbeitet. «Viele von ihnen werden wohl nie mehr rauskommen, weil sie trotz grosser Therapieanstrengungen ein Sicherheitsrisiko bleiben. Doch sinnvolle Arbeit ist immer ein Thema.» Schon seit dem Jahr 2000 unterhält die Gärtnerei in Zusammenarbeit mit ProSpecieRara ein Arboretum von Obstbäumen. Der Arbeitsagoge will auch wieder Tiere haben. «Hühner von ProSpecieRara wären zum Beispiel ein guter Ansatzpunkt für arbeitsscheue Insassen. Die Insassen lernen so, Verantwortung gegenüber einem Tier zu übernehmen, das sie zwar füttern müssen, von dem sie aber wiederum etwas zurückbekommen, nämlich die Eier.»

* Herausgeber und Erhalterorganisationen

ProSpecieRara

Schweizerische Stiftung für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren. Sie wurde 1982 gegründet, um gefährdete Kulturpflanzen und Nutztierrassen vor dem Aussterben zu bewahren. ProSpecieRara schafft Zugang zu Saatgut und Nutztieren, erhält und vermittelt Wissen über die traditionellen Sorten und Rassen und fördert deren Vermarktung. www.prospecierara.ch

Arche Noah

Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und ihre Entwicklung. Arche Noah entstand 1989 auf Initiative von Menschen, die das Saatgut als Grundlage der Ernährung buchstäblich wieder in die eigenen Hände nehmen wollten. Der Verein bewahrt und pflegt Tausende gefährdete Gemüse-, Obst- und Getreidesorten. Erfolgreich arbeitet er daran, traditionelle und seltene Sorten wieder in die Gärten und auf den Markt zu bringen. www.arche-noah.at

ProSpecieRara Deutschland

Gemeinnützige Gesellschaft für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren in Deutschland. Im Jahr 2011 hat ProSpecieRara Schweiz zusammen mit der Stiftung Kaiserstühler Garten die gemeinnützige Gesellschaft ProSpecieRara Deutschland gegründet. Sie will Kulturpflanzen der Roten Liste gefährdeter Kulturpflanzen der Bevölkerung zugänglich machen. Die Kampagne richtet sich an die Bevölkerung von Baden-Württemberg, um zunächst einmal dort typische Sorten zu retten. www.prospecierara.de

Hortus

Der Verein Hortus wurde 2005 im Fürstentum Liechtenstein gegründet. Hortus koordiniert landesweit die Aktivitäten verschiedener lokaler Organisationen, sucht und dokumentiert alte Sorten von Obst, Ribelmais, Gemüse, Beeren, Reben, Getreide, Kräutern, Faser- und Färbepflanzen, Saatgut von Ribelmais und Gemüsesorten wird durch regelmässigen Anbau erneuert und bei Bedarf vermehrt. Für eine langfristige Absicherung der Sorten wird ein Teil des vermehrten Saatguts in einer Genbank gelagert. www.hortus.li

Kulturpflanzen sind ein Erbe der Menschheit

Mit dem Lexikon erinnern die Herausgeber daran, dass Kulturpflanzen ein Erbe der Menschheit sind, Geschenke, die seit Jahrtausenden von unseren Vorfahren an uns weitergegeben wurden. «Wir tragen die Verantwortung, diese an die kommenden Generationen weiterzureichen, damit auch sie sich ihre Ernährungsgrundlage sichern können.» Eine Einladung, der sicher viele Menschen gerne Folge leisten werden.

Serena, Marianna; Suanjak, Michael; Pedrazzetti, Franca; Brechbühl, Beat. Das Lexikon der alten Gemüsesorten. 800 Sorten – Geschichte, Merkmale, Anbau und Verwendung in der Küche. atVERLAG, Aarau und München, 4. Auflage 2021. 671 Seiten. ISBN 978-2-03800-620-6. Dieses Buch ist auch als E-Book lieferbar.

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