79 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki – Atomwaffen sind mit dem Recht unvereinbar

Stellungnahme der IALANA-Deutschland*

(24. August 2024) Am 6. August 1945 schlug eine US-Atombombe mit einer Sprengkraft von 16kt TNT, genannt «Little Boy» auf Hiroshima ein. Schätzungen zur Folge starben 140 000 Personen. Drei Tage später, am 9. August 1945, wurde «Fat Man», eine US-Plutoniumbombe, auf Nagasaki abgeworfen. Sie nahm geschätzte 80 000 Leben. Die Städte Hiroshima und Nagasaki waren gänzlich zerstört.

Dies geschah vor 79 Jahren. Und obgleich der erste logische Gedanke, der auf die Bilder von Hiroshima und Nagasaki von 1945 folgt, die vollständige nukleare Abrüstung ist, sehen wir dieser Gefahr heute immer noch ins Auge. Sie ist grösser denn je. Atomwaffenstaaten haben stets und arbeiten auch aktuell daran, ihre Atomwaffenarsenale (Sprengköpfe und Trägerwaffen) auszubauen und zu modernisieren. Sie beharren weiterhin auf der unhaltbaren Abschreckungspolitik und setzen die nukleare Teilhabe fort und modernisieren die durch Deutschland und anderen Staaten dafür bereitgestellten Flugzeuge und Stützpunkte. Trotzdem sollte nicht der Eindruck entstehen, dass die letzten 79 Jahre erfolglos waren.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg erhoben sich Stimmen, die eine atomare Abrüstung forderten. Die erste Resolution der UN-Generalversammlung vom 24. Januar 1946 forderte die «Elimination from national armaments of atomic weapons and all other major weapons adaptable to mass destruction.» [«Beseitigung der Atomwaffen und aller anderen grossen, zur Massenvernichtung geeigneten Waffen aus den nationalen Arsenalen.»]1 Es gibt eine globale nukleare Abrüstungsbewegung, an deren Spitze die Hibakusha – die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki stehen. Mit ihrem unermüdlichen Einsatz mahnen sie die Welt, was die Folgen eines Atombombeneinsatzes sind, und fordern deren Abschaffung.

Die Bemühungen der Zivilgesellschaft, der UN-Organe sowie der Gemeinschaft der Blockfreien um eine atomwaffenfreie Welt, führten u.a. auch zum Abschluss der Verträge über atomwaffenfreie Zonen. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Rechtinstrumenten und Rechtsnormen, die den Einsatz von Atomwaffen verbieten. Sie reichen von Verträgen über Kernwaffenfreie-Zonen, über den NPT und Test-Stopp-Verträge bis zum humanitären Völkerrecht, den Menschenrechten und Umweltstandrads.2

Tatsächlich ist die Welt dem Ziel einer atomwaffenfreien Welt im Jahr 2021 einen Schritt nähergekommen, als der Atomwaffenverbotsvertrag AVV in Kraft trat. Dieser Vertrag, ein Meilenstein der nuklearen Abrüstung, ergänzt und baut auf andere Instrumente und Normen auf. Er verbietet u.a. die Herstellung, den Einsatz, die Weitergabe oder die Stationierung von Atomwaffen und enthält Normen zu Opferschutz und Umweltsanierung, einem zunehmend wichtigen Bereich.

Während der AVV nur für Mitgliedsstaaten bindend ist, gibt es völkerrechtliche Normen, die als Gewohnheitsrecht für alle Staaten gelten. Zu diesen gehören die Regeln und Prinzipien des humanitären Völkerrechts, die den Einsatz von Atomwaffen verbieten, weil

a) Atomwaffen zwischen Zivilisten und Kombattanten nicht unterscheiden,

b) sie unnötiges Leiden verursachen, und

c) sie langfristige und schwere Schäden in der Umwelt verursachen.

Zusätzlich werden durch einen solchen Einsatz neutrale Staaten in Mitleidenschaft gezogen. Dies bestätigte der Internationale Gerichtshof IGH in seinem epochalen Gutachten vom 8. Juli 1996. Die offen gelassene Frage, ob der Einsatz von Atomwaffen in einer extremen Notwehrsituation, in der das Überleben des Staates auf dem Spiel stünde, rechtmässig ist, sollte keinesfalls als ein Bejahen gedeutet werden. Eindeutig für den IGH war, dass Notwehr nur dann rechtmässig ist, wenn sie mit den Regeln und Prinzipien des humanitären Völkerrechts konform sind.

Mit anderen Worten, das Selbstverteidigungsrecht ist durch das humanitäre Völkerrecht sowie durch die Prinzipien der Notwendigkeit und Verhältnismässigkeit eingeschränkt. Atomwaffen, die heute existieren, erfüllen diese Bedingungen nicht. Somit ist ihr Einsatz in jeglicher Situation völkerrechtswidrig. Im Übrigen ergibt sich hieraus auch ein Androhungsverbot des Einsatzes von Atomwaffen.

Des Weiteren sind Atomwaffen mit Menschenrechten insbesondere dem Recht auf Leben nicht vereinbar. Der Menschenrechtsausschuss bekräftigte diese Feststellung in der Allgemeinen Bemerkung 36, in der er hervorhob, dass es Staaten untersagt ist, Atomwaffen zu entwickeln, zu testen oder einzusetzen.3 Zusätzlich stelle der Menschenrechtsausschuss fest, dass Staaten der internationalen Verpflichtung unterliegen, Verhandlungen in gutem Glauben zu beginnen und abzuschliessen, die zu atomarer Abrüstung in allen ihren Aspekten unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle führen. Die aus dem Jahre 1970 stammende Rechtsverpflichtung des Artikel 6 des Nichtverbreitungsvertrages hat der IGH in seinem Gutachten 1996 ausdrücklich bekräftigt und zum völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht erklärt. Damit ist sie für alle Staaten der Welt verbindlich: Alle Staaten haben für die vollständige Abschaffung der Atomwaffen zu sorgen!

Ein Androhungs- und Einsatzverbot von Atomwaffen und eine Verhandlungsverpflichtung mit dem Ziel der vollständigen atomaren Abrüstung sind die grössten Errungenschaften der letzten 79 Jahre. Sie gelten für alle Staaten ausnahmslos. IALANA erinnert an diese Verpflichtungen schon seit ihrer Gründung.4 Trotz dieser Errungenschaften, haben wir noch viel zu tun. Leider sind wir Zeugen der fortwährenden Missachtung der vertraglichen und gewohnheitsrechtlichen Verpflichtung ernsthafte Verhandlungen über atomare Abrüstung aufzunehmen. Beispielhaft dafür steht der Boykott der Verhandlungen über das Zustandekommen des TPNW und der Konferenzen zur Förderung des Vertrages.

79 Jahre sind seit jenen Augusttagen 1945 vergangen. Taniguchi Sumiteru, Hibakusha aus Nagasaki, widmete sein Leben der Erzählung seiner Lebensgeschichte, der Atombombe auf seinem Rücken,5 und dem Kampf für Frieden und nukleare Abrüstung. In einem Interview sage er:

«Um eine Welt zu schaffen, in der wir als Menschen leben können, müssen wir uns von allen Substanzen befreien, die man als ‹nuklear› bezeichnen könnte6

Diesem Ziel ist die IALANA verpflichtet. Wir fordern alle Staaten dazu auf, ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen und alle Massnahmen zu ergreifen, um eine Welt ohne Atomwaffen zu schaffen. Diese schliessen die Beendigung der nuklearen Teilhabe sowie die Abschaffung und Zerstörung von allen vorhandenen Atomwaffen ein.

Denn nur eine Welt ohne Atomwaffen ist eine sichere Welt.

* Deutsche Sektion der „International Association of Lawyers against Nuclear Arms (IALANA)“ – Vereinigung für Friedensrecht, Berlin

Quelle: https://ialana.de/aktuell/ialana-deutschland-zur-aktuellen-diskussion/ialana-zu-abc-waffen/2893-ialana-stellungnahme-79-jahre-nach-hiroshima-und-nagasaki-atomwaffen-mit-recht-unvereinbar#_ftnref2, 7. August 2024

1 UNO-Generalversammlung, Resolution 1: «Establishment of a Commission to Atomic Energy», 24. Januar 1946. Ihr folgte eine grosse Reihe weiterer Resolutionen der UNO-Generalversammlung, in denen ein Atombombeneinsatz als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebrandmarkt wird.

2 Siehe Anhang: https://ialana.de/aktuell/ialana-deutsch
land-zur-aktuellen-diskussion/ialana-zu-abc-waffen/2893-ialana-stellungnahme-79-jahre-nach-hiroshima-und-nagasaki-atomwaffen-mit-recht-unvereinbar#_ftnref2

3 Allgemeine Bemerkung Nr. 36, CCPR/C/GC/36, para. 66.

4 Siehe eine Liste von Veröffentlichungen im Anhang 2.

5 Sumiteru Taniguchi, The Atomic Bomb on My Back: A Life Story of Survival and Activism, 2020.

6 https://www.pbs.org/wgbh/peoplescentury/episodes/fallout/taniguchitranscript.html

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