Agrarpolitischer Frühschoppen

Erhalt der Bauernbetriebe und der
Ernährungssicherheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Von Marita Brune

Eine kurze Zeit lebte in Deutschland die Diskussion über agrarpolitische Themen in der breiten Öffentlichkeit auf. Der Lockdown und politisches Kalkül setzen ihr fast ein Ende. In der Bodenseeregion ist ein «Agrarpolitisches Frühstück» einer von mehreren neuen Wegen, wie die Bauern versuchen, diese Themen, die für die ganze Gesellschaft von grösster Bedeutung sind, in die Öffentlichkeit zu tragen.

Im November letzten Jahres erlebte Deutschland die grössten Proteste von Landwirten seit langem: An vielen Orten wie in Thüringen, Bonn, Hannover und Berlin demonstrierten Tausende von Bauern gegen die Agrarpolitik der Bundesrepublik. Nach Berlin kamen statt der erwarteten 5000 über 8600 Traktoren. Ein grosser Aufbruch war spürbar, Landwirte taten sich in neuen Gemeinschaften zusammen, um ihre Anliegen in der Öffentlichkeit deutlich zu machen. Ihre sachlichen Argumente fanden zunehmend Gehör in der Bevölkerung, ja sogar Widerhall in den Medien.

Die Bauern forderten, die Anliegen des Natur-, Landschafts- und Tierschutzes nicht mehr nur einseitig ideologisch zu diskutieren. Ihr Beitrag zur Erhaltung unserer Ernährung, der Biodiversität, des Naturschutzes und des Tierwohls kam mehr zur Sprache. Mit dem ersten Volksantrag in der Geschichte Baden-Württembergs [www.volksantrag-gemeinsam.de] zeigten sie einen Weg auf, wie auf sachliche Weise die obigen Anliegen bearbeitet werden können.

Die Bauern machten deutlich, dass sie nicht endlos mit politischen Vorschriften eingeengt werden können, die zudem noch jedem Sachverstand widersprechen. Bereits seit Jahren sterben Höfe in grossem Ausmass. Wenn das so weitergeht, können die Bauern weder unsere Kulturlandschaft noch unsere Ernährung sichern. Der Protest und die öffentliche Diskussion waren berechtigt und dringend nötig.

Gezielt wurde aber versucht, die öffentliche Diskussion in die Hinterzimmer des politischen Deals zu verlagern und zum Erliegen zu bringen. Zusätzlich setzten Corona und die damit begründeten Einschränkungen des öffentlichen Lebens der Diskussion unter Bürgern enge Grenzen. Es war seit März 2020 nicht mehr möglich, Veranstaltungen durchzuführen und im öffentlichen Bereich das Gespräch mit den Mitbürgern zu suchen. Die Landwirte konnten sich kaum noch untereinander in grosser Zahl austauschen.

Umstrittenes Gesetzesvorhaben wird durchgesetzt

Die Politik aber machte weiter: Während des Lockdowns verabschiedete Baden-Württemberg das umstrittene Biodiversitätsstärkungsgesetz. Die Forderung der Bauernverbände, dieses äusserst umstrittene Gesetzesvorhaben auszusetzen, wurde arrogant übergangen.

Jetzt war alles möglich, es gab keine «Störungen» mehr aus der Bauernschaft oder der Öffentlichkeit. Man handelte gemäss dem Motto von Wolfgang Schäuble, der die Corona-Krise als «eine grosse Chance» für Europa bezeichnete und erklärte: «Der Widerstand gegen Veränderung wird in der Krise geringer. Wir können die Wirtschafts- und Finanzunion, die wir politisch nicht zustande gebracht haben, jetzt hinbekommen.» («Hannoversche Allgemeine Zeitung» vom 21.8.2020)

Entwicklung direktdemokratischer Prinzipien

Hubert Lehle, Obstbauer am Bodensee, betrachtete diese Entwicklung mit Sorge. Und mit ihm viele Kollegen aus dem Obst- und Gemüsebau in Baden-Württemberg. Sie schlossen sich zusammen und gestalteten aktiv und erfolgreich die Entwicklung direktdemokratischer Prinzipien in der Diskussion um die Landwirtschaft. Das war noch vor dem Lockdown. Jetzt mussten sie tatenlos zusehen, wie in der Politik Entscheide durchgewinkt wurden, ohne eingreifen zu können. Immer wieder überlegten sie, wie sie trotz der Krise und der damit gebotenen Kontakteinschränkungen den demokratischen Prozess wiederbeleben könnten.

Hochkarätiges Podium

Hubert Lehle hatte mit einigen Kollegen zusammen eine Idee: Am 16. August 2020 lud er auf seinem Hof zum «Agrarpolitischen Frühschoppen» ein. Das Podium war aussergewöhnlich und hochkarätig besetzt: Bauer Willi, ein bekannter politisch aktiver und unabhängig denkender Landwirt aus dem Rheinland [www.bauerwilli.com], stellte kritisch die agrarpolitischen Pläne der EU «Farm to Fork» [«Vom Hof auf den Tisch»] dar. Er wäre nicht Bauer Willi, wenn er nicht gleich Taten dagegen gesetzt hätte, und er schlug die Aktion «Bunte Gabeln» vor: Mit grossen bunten Gabeln in der Landschaft sollten Landwirte in ganz Deutschland auf diese Politik aufmerksam machen und die Bevölkerung zur Diskussion anregen.

Der Schweizer Ökonom Professor Mathias Binswanger referierte zur Frage, warum Agrarfreihandel nicht zu einer besseren Welt führt und die Landwirtschaft ein Sonderfall ist. Wir drucken sein Interview, das er anschliessend Bauer Willi gab, hier ab.

Dr. Matthias Burchardt, Philosoph aus Köln, referierte zur Frage: «Was kostet die Landwirtschaft, und was ist uns die Landwirtschaft wert?» Hubert Lehle moderierte die Veranstaltung. Sie fand auf seinem Hof im Freien, mit viel frischer Luft und der Möglichkeit, Abstand zu halten, statt. Zahlreiche seiner an der Landwirtschaft interessierten Kollegen und Bürger aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nahmen teil und diskutierten mit.

Erfolgreiche Veranstaltung

Mit dieser Veranstaltung ist es nicht nur gelungen, die Diskussion wieder in die Öffentlichkeit zu tragen. Mit dem hochkarätig und interdisziplinär besetzten Podium wurde auch deutlich, wie wichtig es ist, das Thema über die engen Grenzen landwirtschaftlich fachkundlicher Kreise hinaus zu tragen und gemeinsam mit Wissenschaftlern aus anderen gesellschaftlichen Bereichen zu diskutieren. Der Erhalt der Bauernbetriebe und somit der Ernährungssicherheit unserer Länder muss wieder in den Vordergrund gelangen und zu einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe werden.


Hubert Lehle (3. von links) mit den Referenten (von links) Bauer Willi,
Mathias Binswanger und Matthias Burchardt (Bild mt)

 

Versorgungsfreiheit geht vor Landschaftspflege

Video-Interview von Bauer Willi (D) mit Prof. Mathias Binswanger (CH)

red. Am 16. August 2020 führte «Bauer Willi» mit Professor Mathias Binswanger im Rahmen des «Agrarpolitischen Frühschoppens» ein eindrückliches Interview. Im Folgenden publizieren wir eine leicht redigierte Abschrift des Gesprächs. Die Videoaufnahme des Interviews ist unter folgendem Link zu finden [Interview].

Bauer Willi: Hallo Leute. Wir sind hier im Urlaub am Bodensee wieder bei Hubert auf dem Hof. Wir haben heute einen sehr interessanten Tag gehabt, bei dem auch mein Nachbar zur Linken, Professor Binswanger aus der Schweiz, teilgenommen hat als Redner. Matthias, erzähl mal kurz, wer Du bist?

Prof. Mathias Binswanger: Ja ich bin Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz, das ist gelegen in der Mitte zwischen Basel, Zürich und Bern, in Olten. Und da bin ich ganz normaler Professor für Volkswirtschaftslehre, beschäftige mich aber auch unter anderem mit Landwirtschaft.

Landwirtschaft ist ein Sonderfall

Du hast auch ein Buch geschrieben, ein kleines Buch über Agrarhandel, Weltagrarhandel.

Ja das Buch heisst: «Mehr Wohlstand durch weniger Agrarfreihandel». Heute sind wir uns ja gewöhnt, uns vorzustellen, dass mehr Freihandel zu einer immer besseren Welt führt. In dem Buch zeige ich auf, dass das in der Landwirtschaft nicht so ist, dass die Landwirtschaft eigentlich ein Spezialfall ist, dass eine nachhaltige Lebensmittelversorgung eigentlich immer auch eine lokale Lebensmittelversorgung ist, und wenn wir diese aufrecht erhalten wollen, dann können wir das nicht erreichen, wenn wir auch bei landwirtschaftlichen Produkten den Freihandel zulassen. Deshalb müssen wir sagen: Die Landwirtschaft ist ein Sonderfall, da gilt eben nicht, dass immer mehr Agrarfreihandel zu einer besseren Welt führt.

Also diese Botschaft wird ja wahrscheinlich bei Migros und Coop, bei Edeka und Rewe auf grosse Sympathie gestossen sein…

Die wird dort überhaupt nicht auf Sympathie stossen, weil natürlich das Interesse der Lebensmittelhändler oder auch der Lebensmittelindustrie ist, möglichst billig Lebensmittelrohstoffe einzukaufen und dann ein möglichst teures Produkt daraus zu machen. Wenn auf der anderen Seite die Bauern auch relativ viel Geld bekommen für ihre Produkte, dann verringert das die Handelsmarge für Migros, Coop oder in Deutschland Aldi, Lidl und andere Anbieter. Somit ist deren Interesse natürlich, dass man den Bauern möglichst geringe Preise zahlt. Das ist legitim, das ist ihre Marktposition. Aber wir müssen das zuerst mal erkennen. Wir müssen schauen, dass sich das nicht so auswirkt, wie es heute der Fall ist, dass dies immer zu Ungunsten der Bauern ausgeht, weil die Marktmacht auf der Seite dieser Lebensmittelhändler liegt und nicht auf der Seite der Bauern.

Versorgungssicherheit kommt vor Landschaftspflege

Nun gibt es ja auch Stimmen, und das kann man so ein bisschen auch in der Schweiz mitbekommen, dass Leute der Meinung sind, dass Bauern am besten überhaupt nicht mehr produzieren, sondern Landschaftspflege machen sollten. Ihr seid ja da, was Fördermittel angeht, ziemlich weit.

Ja, in der Schweiz gibt’s vielfältige Zahlungen des Staates für so genannte landschaftspflegerische Tätigkeiten, also für den Erhalt von hochstämmigen Obstbäumen, oder für die Pflege von Magerwiesen und so weiter. Und das führt dazu, dass es eine Tendenz gibt, dass der Bauer immer mehr zum Landschaftsgärtner wird – weil er dafür Geld vom Staat bekommt – und so eigentlich immer weniger produziert. Aber das steht natürlich im Konflikt zur eigentlichen Aufgabe der Landwirtschaft: das Garantieren der Versorgungssicherheit in der Schweiz.

Vor dem Ersten Weltkrieg war es in unserem Land schon einmal so, dass wir die Lebensmittelversorgung fast aufgegeben hatten, vor allem beim Getreide. Und dann ist die Getreideversorgung im Ersten Weltkrieg zusammengebrochen, und da haben wir gemerkt: Das ist nicht gut, wenn man ganz vom Ausland abhängig ist. Deshalb wurde die Versorgungssicherheit in der Bundesverfassung zum wesentlichen Ziel der Landwirtschaftspolitik erklärt. Man hat angefangen, die Bauern zu subventionieren, einen Grenzschutz aufzubauen, damit die Schweiz auch im Notfall in der Lage ist, sich selbst versorgen zu können.

Dies steht im Widerspruch dazu, dass die Bauern nur noch Landschaftsgärtner sein sollen. Die Versorgungssicherheit ist dann nicht mehr gewährleistet, und dies steht klar im Widerspruch zur schweizerischen Bundesverfassung. Deshalb geht es nicht, dass wir aus den Bauern nur noch Landschaftsgärtner machen.

Kulturlandschaft ist schöne Landschaft

Was denkst Du realistischerweise, auf welche Seite wird die Waage ausschlagen? Wird sie mehr in Richtung Versorgungssicherheit ausschlagen? Ihr habt ja die Möglichkeit Volksbegehren zu stellen, wo sich die Bürgerinnen und Bürger direkt zu Wort melden. Oder wird die Entwicklung weiter in Richtung Naturschutz, Landschaftspflege und Artenschutz gehen?

Grundsätzlich ist es so, dass wir uns von der produzierenden Landwirtschaft entfernen. Aber auf der anderen Seite hat die Corona-Krise zu einem gewissen Umdenken geführt. Es wurde uns vor Augen geführt, dass, wenn man vom Ausland abhängig ist und die Lebensmittelversorgung wirklich knapp wird, dass dann die Länder immer zuerst an sich selbst denken und sagen: Wir müssen zuerst unsere eigenen Leute versorgen. Wir haben erlebt, dass es dann knapp werden kann. Ich glaube, dass die Versorgungssicherheit jetzt wieder einen grösseren Stellenwert gewonnen hat und dass man doch etwas skeptisch ist auch gegenüber dieser Entwicklung zur reinen Landschaftsgärtnerei. Weil das noch andere Auswirkungen hat: Wenn wir uns wirklich von der produzierenden Landwirtschaft entfernen, dann wird das am Schluss so aussehen, dass irgendwelche vom Staat bezahlten Landschaftsgärtner die Landschaftspflege machen, die dann relativ teuer bezahlt werden müssen.

So wie es im Moment ist, ist das aber eigentlich ein Kuppelprodukt, d.h. Nebenprodukt, diese Landschaftspflege. Der Bauer will ja nicht in erster Linie die Landschaft pflegen, er will etwas produzieren. Und als Nebenprodukt von dieser Tätigkeit entsteht dann auch die Landschaft, die wir als Kulturlandschaft erschaffen, und das ist auch eine schöne Landschaft, so wie wir sie wollen. Wir wollen ja nicht eine verwilderte Landschaft.

Jetzt redet der Schweizer von der schönen Landschaft in der Schweiz …

Genau, und die entstand nicht durch Zufall, sie hängt mit der Landwirtschaft zusammen. So wie sie im Moment gepflegt wird, ist sie relativ billig, weil die Bauern Lebensmittel produzieren und sozusagen gratis als Nebenprodukt diese Landschaft pflegen. Wenn aber keine Lebensmittel mehr produziert werden, dann muss der Staat das teuer bezahlen. Und wenn wir diese Rechnung machen, als Gesamtrechnung, dann wird die Landschaftspflege sehr teuer.

Vielen Dank. Ich denke und hoffe, dass dieser Gedanke auch bei uns in Deutschland seinen Niederschlag findet. Das würde uns auf jeden Fall in der allgemeinen Diskussion gut tun, dass man das auch bei uns in Deutschland so sieht. Ich danke Dir und bis demnächst. Tschüss.

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