Alles «Desinformation»?
Wie der Staat in die Meinungs- und Pressefreiheit eingreift
von Dr. Jonas Tögel*
(12. September 2025) (CH-S) Im folgenden Beitrag beschreibt Jonas Tögel in welcher dramatischen Weise sich die Meinungs- und Pressefreiheit in Deutschland bzw. in der EU verschlechtert hat und mit welchen Methoden sie weiter zerstört wird. Die meisten EU-Staaten müssen sich heute den Vorwurf gefallen lassen, ihre Bürgerinnen und Bürger in despotischer Weise zu bevormunden und sie als willfährige Untertanen zu behandeln.
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jonastoegel.de)
1. Kognitive Kriegsführung
Wenn man über den «Maschinenraum» der Kognitiven Kriegsführung sprechen möchte, muss man zunächst erläutern, was eigentlich die Kognitive Kriegsführung ist. Da eine ausführliche Behandlung der Thematik den Rahmen dieses Artikels sprengen würde, soll an dieser Stelle eine kurze Skizzierung genügen: Sie ist ein offizielles Programm der Nato, welches einen Überbegriff für Informationskriegsführung, psychologische Operationen sowie psychologische Kriegsführung darstellt und seit 2020 verstärkt vorangetrieben wird. Der Kampf um die Köpfe der Menschen wird somit zu einer eigenen Kriegstechnik gemacht, mit dem erklärten Ziel, den Menschen selbst zu einem eigenständigen, offiziellen Nato-Kriegsschauplatz zu machen. Somit steht jeder Mensch zu jeder Zeit im Zentrum dieser hochmodernen, psychologischen Kriegsführung.
Weder die Radikalität noch die Ganzheitlichkeit dieses globalen Programmes, das auch von Russland, China und anderen Ländern unter verändertem Namen betrieben wird, können an dieser Stelle vertieft dargestellt werden. Wichtig ist jedoch, zu verstehen, dass die Kontrolle über die dominierende Rahmenerzählung von Gesellschaften ein wesentlicher Bestandteil der Kognitiven Kriegsführung ist. Die Nato erklärt in diesem Zusammenhang den Kampf gegen «Desinformation» zu einer Hauptaufgabe, um die «kognitive Sicherheit» der Bevölkerung zu gewährleisten. So heisst es in einem Dokument: «Die effizienteste Art und Weise, um einen Gegner zu überwältigen ist, ihre [sic] Gedanken und Glaubenssätze zu beeinflussen, und sie so gegen sich selbst zu richten. Das Voranschreiten der Forschung zu Desinformation und ihrer Auswirkung auf Gesellschaften wird zur Entwicklung neuer Schlachtpläne führen, um diese Angriffe abzuwehren.»

2. Die Rahmenerzählung: Kampf gegen «Desinformation» und «russische Einflussnahme»
Da der Kampf um die Gedanken und Gefühle fremder und eigener Bevölkerungen rechtlich nicht ohne weiteres möglich ist, liefert diese Aussage der Nato-Strategen den Deutungsrahmen, der das Vorantreiben der Kognitiven Kriegsführung legitimiert: den Kampf gegen Desinformation oder ausländische Einflussnahme.
Es überrascht daher nicht, dass auch beim Treffen des Weltwirtschaftsforums im Januar 2025 dieser Kampf gegen «Desinformation und Falschinformation» auf Platz eins der Liste der Bedrohungen stand. Offenbar erwartete man dabei, «Desinformation» in den kommenden Jahren wirksam bekämpfen zu können, da die Perspektive für die nächsten zehn Jahre diese Bedrohung auf Platz fünf rückte. Von Seiten der EU wurde der Kampf gegen «Desinformation» bereits 2018 ausgerufen und ist gemeinsam mit dem Kampf gegen «russische Einflussnahme» spätestens seit der Entwicklung der Kognitiven Kriegsführung allgegenwärtig. Bereits im Jahr 2017 warnte eine Studie des Army War College davor, dass «durch unbequeme Informationen Details aufgedeckt [werden], welche die legitime Autorität untergraben und die Beziehungen zwischen den Regierungen und den Regierten zerstören» könnten. Das Ziel müsse daher eine möglichst umfassende «Manipulation der Wahrnehmung» sein – die spätestens seit der Einführung der Kognitiven Kriegsführung als offizielle Kriegstechnik anerkannt ist und zu denen auch der Kampf gegen «Desinformation» oder «russische Propaganda» gehört.
In diesem Zusammenhang sahen sich kürzlich die «Berliner Zeitung», der Focus, NDR oder die NachDenkSeiten durch die sogenannte «Doppelgängeranalyse» des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz dem Vorwurf ausgesetzt, «russische Narrative» zu verbreiten. Nach vehementer Kritik, beispielsweise von Seiten des Chefredakteurs der «Berliner Zeitung», ruderte der Verfassungsschutz zurück.
Das Problem bei Begriffen wie «Desinformation» oder «Falschinformation» ist jedoch, wie so oft in der Propagandaforschung, dass diese nicht hinreichend definiert sind. Ferner bleiben die Beweise für eine «russische Einflussnahme» oft wenig transparent.
Susanne Lackner, die stellvertretende Vorsitzende der Medienregulierungsbehörde in Österreich, erläuterte vor kurzem eben diese Schwachstelle des vorgeblichen Kampfes gegen «Desinformation», für den es nach ihren Worten keinen «einheitlichen Rechtsbegriff» gibt. Da es «schon die Meinungsfreiheit» gebe, sei daher die Kritik laut geworden, «hier findet Zensur statt», doch darum gehe es «überhaupt nicht», so Lackner. Ähnlich sieht das die Bundesfamilienministerin Lisa Paus der Partei Die Grünen. Sie beklagte kürzlich: «Viele Feinde der Demokratie wissen ganz genau, was gerade noch so unter Meinungsfreiheit fällt» und forderte folgerichtig einen Kampf gegen «Hass und Hetze».
Der angebliche Kampf gegen «Desinformation» und «russische Einflussnahme» bildet somit eine mächtige Rahmenerzählung für die erbittert geführte Kriegsführung um unsere Köpfe und Herzen. In diesem Artikel soll es darum gehen, welche für die Bevölkerung oft unsichtbaren Mechanismen im Hintergrund geschaffen wurden, um die Manipulationsbemühungen wirksam umsetzen zu können.
Dabei stechen zwei konkrete, besonders wirksame Mechanismen hervor: Die Schaffung eines geeigneten Rechtsrahmens in Form des «Digital Services Act» sowie die Etablierung eines Netzwerks von Denkfabriken, die sich dem Informationskrieg widmen.
3. Die Umsetzung: Denkfabriken
Der Kampf gegen «russische Desinformation» bestimmt auch den Bundestagswahlkampf 2025: So ist sich die Plattform «Correctiv» sicher, dass Russland in ihn eingreift. In diesem Zusammenhang wurde sogar spekuliert, Russland könne etwas mit den Terroranschlägen in Aschaffenburg oder München zu tun haben, um nationalistische Parteien zu stärken.
Eine bereits 2021 veröffentlichte Studie der Left Group im Europaparlament stellt den Deutungsrahmen eines angeblichen Kampfes gegen «fremde Einflüsse», üblicherweise aus Russland oder China, jedoch grundlegend infrage. Die Autoren und Autorinnen bezeichneten ihn vielmehr als «eine bequeme Quelle von eingebildeten Bedrohungen für die Sicherheit Europas», die dazu diene, «neue Verteidigungsprojekte und Initiativen zu rechtfertigen».
Sie stellen ferner fest: «Eine boomende Industrie an mit der Nato verbundenen Denkfabriken und Instituten ist entstanden, welche die politische Agenda einer ‹ausländischen Einflussnahme› bestärken. Diese werden regelmässig zu Anhörungen des Spezialkommittees eingeladen, um massgeschneidertes Fachwissen einzubringen.» Das Ziel müsse es daher sein, das verzweigte Netz aus westlichen Denkfabriken genau zu untersuchen, das im Hintergrund die Formung der öffentlichen Meinung betreibe.
Dazu gehört beispielsweise das 2006 gegründete «Institut für Strategische Dialoge» (ISD), das einer Recherche von Public zufolge ebenfalls eine Nato-(Tarn-)Organisation darstellt. «Von der Nato und Regierungen finanzierte NGOs arbeiten mit Behörden der Regierung zusammen, um die Wahlen in Deutschland zu beeinflussen», so die Kritik von Public an ISD. Das Institut hätte die Aufgabe, die deutsche Bevölkerung «im Sinne der Ziele amerikanischer Aussenpolitik auf Linie zu bringen und die europäische Friedensbewegung zu unterlaufen.»
Die beiden Autoren üben daher eine harsche Kritik: «Gruppen wie das ISD dienen als wichtige Kanäle für militärische und staatliche Propaganda.»
Dieser Vorwurf steht auch bezüglich der insgesamt 28 sogenannten «Exzellenzzentren» der Nato im Raum, von denen zwei exemplarisch herausgegriffen werden sollen: das in Estland ansässige «Cooperative Cyber Defence Centre of Excellence», das 2008 gegründet wurde, sowie das 2014 gegründete «Strategic Communications Centre of Excellence» in Lettland. Beide widmen sich einer intensiven Forschung und Entwicklung immer modernerer Propagandatechniken, wie die Studie der Left Group herausfand.
Ähnlich wirkmächtig ist auch die 2015 gegründete «East StratCom Task Force», die ebenso wie das «Zentrum gegen hybride Bedrohungen» ein Gemeinschaftsprojekt von EU und Nato ist.
Die erstgenannte Task Force betreibt den Blog «EU vs. Disinfo», in dem kürzlich vor einer russischen Einflussnahme auf die Bundestagswahl gewarnt wurde. Vom Kreml verbreitete und somit zu bekämpfende «Schlüssel-Narrative» seien beispielsweise «Eliten vs. Volk, Verlorene Souveränität» oder «Drohender Kollaps».
Das «Zentrum gegen hybride Bedrohungen» widmet sich ebenfalls unter anderem dem Kampf gegen «Desinformationskampagnen des Kreml».
4. Die Umsetzung: Der «Digital Services Act»
Neben diesem weitverzweigten Netz aus Denkfabriken ist die Schaffung von (Zensur-) Gesetzen ein weites, zentrales Werkzeug zur Meinungsmache im Maschinenraum der Kognitiven Kriegsführung.
Allen voran ist hier der Digital Services Act (Gesetz für digitale Dienstleistungen) zu nennen, der seit 16. November 2022 in Kraft ist. Das sehr umfangreiche und komplexe Gesetz löst in Deutschland das «Netzwerkdurchsetzungsgesetz» von 2018 ab, das von Human Rights Watch bereits dafür kritisiert wurde, dass es zu «ungerechtfertigter Zensur» führen könne.
Der DSA richtet sich überwiegend an digitale Suchmaschinen und Plattformen und verpflichtet sie unter Androhung empfindlicher Strafen zur Kontrolle, Herabstufung und gegebenenfalls Löschung ihrer Inhalte, was von der EU-Kommission kontrolliert und von staatlichen Koordinatoren sowie von zivilgesellschaftlichen Hinweisgebern kontrolliert wird.
Dabei steht vor allem der Kampf gegen das vage Schlagwort der «Desinformation», auch im Zusammenhang mit Wahlen, im Zentrum, wie Susanne Lackner betont: «Es gibt die Desinformation, das ist da, wo eine Absicht dahinter steckt, also irreführende Inhalte zu verbreiten. Es gibt die Einflussnahme auf Informationen, da kommen wir natürlich schon in die Aussen- und Sicherheitspolitik herüber und Einmischungen aus dem Ausland. […] Das andere ist natürlich die Interferenz und jeder bekommt das mit jetzt im Zuge der Wahlen und Wahlvorbereitungen, dass es ernsthafte Gefahren gibt im Netz. […] Das heisst, die Desinformation ist ein Mittel der Kriegsführung.»
Besonders wirksam seien die hohen Strafen, die bei den Plattformbetreibern zu einer gewissen Angst führten – immerhin können es diese «bis zu sechs Prozent des weltweiten Umsatzes» kosten, wenn sie gegen den DSA verstiessen.
Zu den zivilgesellschaftlichen Hinweisgebern gehören auch die sogenannten «Vertrauenswürdigen Hinweisgeber» (Trusted Flagger). Seit Oktober 2024 ist das in Deutschland die Meldestelle REspect!.
Während der DSA und REspect! auf wirksame Art und Weise die Umsetzung der Kognitiven Kriegsführung ermöglichen, so gibt es doch laute Kritik an ihrer Vereinbarkeit mit fundamentalen, rechtsstaatlichen Grundsätzen. So kritisiert die «Welt», REspect! sei die «nette neue Zensurbehörde» und ihr Vorgehen stünde «im offenen Widerspruch zum Rechtsstaat».
Der langjährige Richter Manfred Kölsch schreibt in seiner Analyse zum DSA: «Sie höhlen damit die verfassungsrechtlich verankerte Meinungs- und Informationsfreiheit aus und befördern dieses Bestreben durch ein europaweit gespanntes Überwachungssystem.»
5. Schluss: konkrete Beispiele
Da der DSA sowie die zahlreichen Denkfabriken im Maschinenraum der Manipulation unbemerkt im Hintergrund agieren, drängt sich die Frage auf, wo man ihren Einfluss konkret beobachten kann.
Eine Möglichkeit besteht darin, unerwünschte Inhalte mithilfe der «Trusted Flagger» zu melden sowie deren Löschung oder, was noch effizienter und fast nicht nachprüfbar ist, eine Herabstufung ihrer Sichtbarkeit zu erzwingen: So verschwinden unbeliebte Inhalte wirkungslos in den Tiefen des Internets und erfahren kaum Aufmerksamkeit oder werden gänzlich unsichtbar, was auch als Shadow-Ban bezeichnet wird.
Im Rahmen eines Gespräches mit der Innenministerin Nancy Faeser am 22. Januar im Bundesinnenministerium wurden «Vertreterinnen und Vertreter der Social-Media-Unternehmen» bereits darauf vorbereitet, auf «die Verbreitung strafbarer Internetinhalte und Desinformation im Zusammenhang mit der Bundestagswahl» entsprechend zu reagieren.
Ein weiterer, ebenso wichtiger Aspekt, an dem die vielen Denkfabriken mit Nachdruck arbeiten, ist das Erzählen der eigenen (Nato-) Geschichte. Wie Joshua Rahtz in seinem Artikel «die Geschichtenerzähler der Nato» eindrucksvoll darlegt, sind die Vorschläge überaus ehrgeizig und machen deutlich, wie viele Bereiche der Gesellschaft inzwischen von der Kognitiven Kriegsführung durchdrungen sind. Unter Verweis auf Vorschläge der Denkfabrik «Globsec» führt Rahtz an, dass unter anderem die gesamte Infotainment-Industrie, wie beispielsweise Online-Spiele oder Belletristik, in das Geschichtenerzählen der Nato eingebunden werden soll. Ebenso sollen «beliebte Hollywoodfilme oder Online-Streaming-Angebote» mit einbezogen werden. «Die Nato sollte sich auch darum bemühen, attraktivere Influencer zu gewinnen, sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Nato-Blase, um ihr eigenes Storytelling voranzutreiben», so Globsec.
Einer solch allumfassenden Produktion von Propaganda, tief aus dem Maschinenraum der Kognitiven Kriegsführung, kann nur durch fortwährende Aufklärung über ihre Funktionsweise und die zutiefst undemokratische Grundlagen, auf denen sie beruht, begegnet werden.
* Dr. Jonas Tögel ist Amerikanist, Propagandaforscher und Bestsellerautor. Er hat zum Thema Soft Power und Motivation promoviert und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Universität Regensburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Motivation, der Einsatz von Soft-Power-Techniken, Nudging, Propaganda sowie epochale Herausforderungen des 20. und 21. Jahrhunderts. Zuletzt erschienen seine Bücher «Kriegsspiele» (2025) und «Kognitive Kriegsführung» (2023) im Westend-Verlag. |
Quelle: https://www.berliner-zeitung.de/open-source/alles-desinformation-wie-der-staat-in-die-meinungs-und-pressefreiheit-eingreift-li.2301069, 22. Februar 2025.
(Mit freundlicher Genehmigung der «Berliner Zeitung»)