«Warum der Weltfrieden von Deutschland abhängt»

Einschätzungen von Hauke Ritz, Publizist und Philosoph, Berlin

von Marita Brune*

(12. September 2025) Aufmerksame Beobachter des Weltgeschehens fragen sich schon lange, warum europäische Länder, insbesondere Deutschland, die Friedensinitiativen Trumps nicht nur nicht unterstützen, sondern sogar zu unterlaufen suchen. Zumal sich hier besonders Deutschland hervortut, ein Land, dessen Politiker seit Jahrzehnten blind allem gefolgt sind, was aus den USA angesagt wurde. Hat Deutschland tatsächlich plötzlich entdeckt, dass es selbständig handeln könnte? Man kommt nicht umhin zu konstatieren, dass von Europa aus alles getan wird, um den schrecklichen Krieg in der Ukraine zu verlängern. Ist Europa, ist Deutschland jetzt womöglich verantwortlich für eine Eskalation dieses Krieges, der zu einem Weltkrieg führen könnte?

Hauke Ritz.
(Bild zvg)

Auf diese Fragen gibt Hauke Ritz logische und nachvollziehbare Antworten. Seit dem verstärkten Aufkommen der Feindschaft des Westens gegen Russland beschäftigt sich der Publizist und Philosoph mit Fragen der Aussenpolitik und der Friedensforschung, dabei insbesondere mit dem Ost-West-Konflikt. Schon 2023 schrieb er den Essay mit dem Titel: «Warum der Weltfrieden von Deutschland abhängt».1 Nun hat er seine Überlegungen in einem Interview mit Walter von Rossum aktualisiert.2 Im Folgenden dokumentieren wir seine wichtigsten Thesen.

Hauke Ritz bemerkte schon 2007, als Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz eine Rede hielt, eine sich anbahnende Konfrontation mit Russland. «Zu diesem Zeitpunkt wurde mir klar, dass wir auf einen Krieg zulaufen zwischen den USA und Russland […]. Es war ersichtlich, dass schon Kriegsvorbereitungen anliefen, nicht nur die Aufstellung des Raketenschildes, sondern auch die Dämonisierung des Gegners. Man hat schon 2007 […] versucht, Russland zu entmenschlichen, ein falsches, klischeehaftes verzerrtes Bild des Landes zu entwickeln.»

Stellvertreterkrieg in der Ukraine – und warum ein Ende schwer zu finden ist

2022 ist es dann schliesslich zum Krieg gekommen. Nach Ritz’ Einschätzung benutzen die USA die Ukraine als Stellvertreter, um ihren ‹Erbfeind› Russland zu schwächen.»3 Jetzt ist es offenbar schwierig zu einem Friedensschluss zu finden.

Ritz: «Weder die USA noch Russland können einen Kompromiss machen, sie können nicht zurückweichen. Für die USA würde ein Rückzug aus dem UA-Krieg ein Gesichtsverlust bedeuten, danach stände ihre Autorität auf dem Spiel, der Sinn der Nato würde in Frage gestellt werden, die Entdollarisierung würde sich beschleunigen. Sie können nur weiterkämpfen, nur noch mehr Energie in den UA-Konflikt investieren. Das gleiche gilt aber auch für Russland, das ein unlösbares Sicherheitsproblem hätte, wenn eine Ukraine mit Nato-Mitgliedschaft direkt an ihrer Grenze wäre, mit amerikanischen Waffen und Raketensystemen, 450 oder 500 Kilometer vor Moskau. In diesem Fall müsste Russland seine Hauptstadt nach Sibirien verlegen oder in den fernen Osten, und wäre wahrscheinlich auch als geopolitischer Akteur ausgeschaltet.»

Wenn Deutschland «sich diesem Krieg verweigert, dann endet er auch»

Und was hat Europa, was hat Deutschland damit zu tun? Hauke Ritz: «Wenn das so ist, dass beide Seiten nicht zurückweichen können, dann hängt alles an Europa, und in Europa ist eben Deutschland die wirtschaftlich stärkste Macht, wir liegen im Zentrum, wir sind der Knotenpunkt der gesamten Logistik, ohne uns ist der ganze Ukraine-Konflikt gar nicht führbar. Wenn wir Neinsagen, wenn wir uns in die Tradition von Willy Brandt und Egon Bahr oder der deutschen Friedensbewegung der 1980er-Jahre stellen und uns dem Krieg verweigern, dann endet er auch und dann ist er auch diplomatisch lösbar.»

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Warum die USA heute eine diplomatische Lösung favorisieren …

Die Stellungnahme der USA hat sich seit Trump geändert. Ritz erklärt: «Den USA kam bei der Änderung ihrer Aussenpolitik natürlich zugute, dass sie einen Regierungswechsel hatten mit einer markant anderen Persönlichkeit als Präsident. Das gab ihnen die Möglichkeit eine Korrektur durchzuführen. Die USA haben natürlich Angst, dass dieser Krieg mit einem Gesichtsverlust für sie endet. Und wenn jetzt Trump sagt, das ist nicht mein Krieg, unter meiner Regierung hätte dieser Krieg nie begonnen, dann gibt das den USA die Möglichkeit, sich ohne Gesichtsverlust aus dem Krieg zurückzuziehen.»

und Europa eine Fortführung des Krieges

«Wir in Europa verfügen nicht wirklich über Souveränität. Das heisst, alle europäischen Länder, insbesondere die wichtigen europäischen Länder werden mehr oder weniger von einer transatlantischen politischen Klasse regiert, man könnte auch sagen, es handelt sich um eine Regierung amerikanischer Einflussagenten. Deren Qualifikation besteht darin, immer den USA zu folgen, immer den bisherigen USA zu folgen, was bisher die USA war, sie haben nichts andres gelernt. Und wenn jetzt die USA das erste Mal seit 70, 80 Jahren den Europäern sagen: Steht endlich auf eigenen Füssen, seid selbständig, was die Trump-Administration und besonders der Vizepräsident Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt hat, dann können die Eliten kognitiv, intellektuell, vor dem Hintergrund ihrer Erziehung damit gar nicht umgehen. Sie haben nicht gelernt, sich selbständig in der Welt zu orientieren, sie sind ausgewählt worden für den politischen Prozess aufgrund ganz anderer Qualifikationen, nicht aufgrund ihres Orientierungsvermögens in der Weltgeschichte.»

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Es fehlen Politiker vom Format Willy Brandts und Egon Bahrs

«Deswegen können sie nichts anderes tun, als die Linie, die die letzten Jahrzehnte gefahren wurde, einfach noch mal zu intensivieren und daran festzuhalten, dass Russland ‹besiegt› werden muss, oder – wie es auch schon von führenden Politikern hiess – ‹ruiniert› werden muss, jedenfalls als geopolitischer Akteur geschwächt werden muss. Die halten daran fest mangels Alternativen. Es gibt auch im derzeitigen politischen System keinen Politiker, der eine Friedenspolitik, eine Entspannungspolitik nach dem Vorbild Willy Brands oder Egon Bahrs verkörpern könnte.»

Angst, dass das Versagen ins Rampenlicht gerückt wird

«Gleichzeitig haben diese Politiker Angst, dass wenn es doch zu einer Wende käme, ihr eigenes politisches Versagen ins Rampenlicht gerückt werden könnte, denn es ist ja dieser politischen Klasse gelungen, nicht Russland als politischen Akteur auszuschalten, sondern letztlich Europa als geopolitischen Akteur auszuschalten. Europa wird, so wie es jetzt aufgestellt wird, kein unabhängiger Akteur in der multipolaren Welt werden, wir erleiden massive wirtschaftliche Nachteile durch den unterbrochenen Handel mit Russland. Wir haben uns nicht nur von Russland entfremdet, sondern von der gesamten BRICS-Staatenwelt. Wir sind zu einer lächerlichen Figur in den internationalen Beziehungen geworden. Damit dieses Fundamentalversagen nicht nur der Regierung Scholz, sondern auch der Regierung Merkel und der europäischen Regierungen der letzten 10, 15 Jahre nicht ans Licht kommt, wird der Versuch unternommen, an der bisherigen Politik festzuhalten.»

Hoffen auf Politikwechsel in den USA

Dabei stehen die europäischen Politiker nur scheinbar im Widerspruch zur amerikanischen Administration: «Und zwar hoffen diese europäischen Eliten, die wie gesagt, Transatlantiker sind, mit dem tiefen Staat in den USA verbunden sind, sie wollen jetzt überwintern, wie sie das schon in der ersten Amtszeit von Trump gemacht haben, und hoffen, dass Trumps politischer Vorstoss sich totläuft, sich diskreditiert, und irgendwann der tiefe Staat, die Einflusskräfte, die vorher regiert haben in der Administration, wieder im Amt sind. Das ist ihr Ziel: Durchzuhalten.»

Ritz thematisiert dann die zunehmende Einschränkung demokratischer und politischer Freiheiten in Deutschland, die bis hin zum Quasi-Ausschluss einer der umfragestärksten Parteien geht sowie aussenpolitisch die zunehmende Bereitschaft, der Ukraine Waffen zu liefern, die zu einer totalen Eskalation des Krieges führen könnten.

«Wir bewegen uns da auf eine massive Eskalation zu sowohl innenpolitisch als auch aussenpolitisch.»

Europa und Deutschland versuchen, einen globalen Trend aufzuhalten

Ritz erweitert schliesslich den Blick und erläutert, dass Europa und Deutschland versuchen, weltweite Entwicklungen aufzuhalten:

«Es gibt einen globalen herrschenden Trend in der Welt in der Richtung eines neuen konservativen Verständnisses von Politik, gegen ein Wirtschaftsmodell der endlosen Globalisierung, auch versehen mit einigen neuen sozialen Elementen. Das ist das, was die Menschen überall in der Welt wollen. Das sieht man auch an den Wahlergebnissen der verschiedenen Länder. Damit verbunden ist auch der Trend der BRICS-Staaten, die sich konsolidieren, denen immer mehr andere Länder beitreten wollen. Also der Übergang in eine multipolare Welt, die nicht mehr von einem einzigen wirtschaftlichen Modell dominiert wird. Was jetzt versucht wird, ist, diesen globalen Trend zu unterdrücken und abzugleisen und mit Gewalt an dem Alten festzuhalten.

Aber wenn die Geschichte ein guter Ratgeber ist, dann hat das eigentlich nie in der Geschichte funktioniert. Man erinnere sich an die letzten Tage der sozialistischen Allianz, als Gorbatschow schon eine Wende in der Sowjetunion eingeleitet hat und Honecker aber stur an seinem Kurs festhielt. Man hat auch kurz überlegt, ob man das chinesische Modell anwenden soll, also ob man auf die Demonstranten schiessen soll, wie das in China auf dem Platz des Himmlischen Friedens passiert ist. Das ist dann nicht passiert […]. So denke ich, dass es langfristig nicht möglich ist, gegen einen globalen historischen Trend zu handeln. Aber das wird im Moment versucht und das ist natürlich schon beängstigend.»

Schon 2023 erklärt Ritz: «Ob der grosse Krieg unter dem Einsatz von Atomwaffen geführt wird, entscheiden somit nicht Washington und auch nicht Moskau, nein, diese Entscheidung fällt in Berlin.»4 Es sieht so aus, als sollte er recht behalten.

* Marita Brune ist Mitglied der Redaktion des «Schweizer Standpunkts».

1 Hauke Ritz, Essay auf den Nachdenkseiten.de, 17. Februar 2023

2 Interview: Walter von Rossum mit Hauke Ritz, Manova.news, Mai 2025 Im Folgenden sind alle Zitate, die nicht anders gekennzeichnet sind, diesem Interview entnommen.

3 Hauke Ritz, Warum der Weltfrieden von Deutschland abhängt, Neu-Isenburg 2025, S. 206

4 idem.

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