China blockiert US-Basen in Zentralasien
von M. K. Bhadrakumar*
(18. Juni 2021) Zehn Monate nach dem ersten Treffen der Aussenminister Chinas und der fünf zentralasiatischen Staaten hat Peking eine zweite Sitzung am 11. Mai bei einem Treffen in Xi'an, China, auf Einladung von Aussenminister Wang Yi angesetzt.
Der Tagungsort ist symbolträchtig. Die alte Stadt Xi'an war einst der «terminus a quo» der Seidenstrasse. Und vielleicht auch der Zeitpunkt, da es sich um den 25. Jahrestag des «Shanghai Five»-Prozesses1 handelt, während dem China leise, aber stetig seine wirtschaftlichen, militärischen und diplomatischen Beziehungen zu Zentralasien aufbaute und sich als verlässlicher Partner präsentierte.
Das Treffen in Xi'an ist ein Wendepunkt, da es eine «institutionelle Garantie» für den entstehenden «C+C5»-Rahmen (China+ Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan) schafft. Die Teilnehmer einigten sich auf ein «Memorandum of Understanding», um einen regionalen Kooperationsmechanismus einzurichten, den qualitativ hochwertigen Bau der Neuen Seidenstrasse («Belt and Road») zu fördern und drei Forschungszentren für die Zusammenarbeit zu gründen.
«Eine Reise von tausend chinesischen Meilen (li) beginnt unter den eigenen Füssen», sagt ein altes chinesisches Sprichwort. So wie der «Shanghai-Five»-Prozess sich zur Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) entwickelte, scheint auch C+C5 gute Zukunftsaussichten zu haben.
Das Pentagon sucht nach Militärbasen in den zentralasiatischen Ländern
Die «Shanghai Five», bestehend aus China, Kasachstan, Kirgisistan, Russland und Tadschikistan, hatte 1996 ebenfalls einen bescheidenen Anfang, als sie aus einer Reihe von Grenzdemarkations- und Entmilitarisierungsgesprächen hervorging, die die vier ehemaligen Sowjetrepubliken mit China führten. Die offizielle Verankerung der C+C5 markiert auch einen Wendepunkt in der regionalen Sicherheit – da der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan in Gang kommt und es Anzeichen gibt, dass das Pentagon nach Möglichkeiten für Militärbasen in den zentralasiatischen Ländern sucht.
Interessanterweise erschien auch der Schatten des (geostrategischen) «Great Game». Das Treffen in Xi'an findet achtzehn Tage nach einem ähnlichen Treffen im «C5+1»-Format statt, an dem der US-Aussenminister Antony Blinken teilnahm (natürlich nur virtuell). Innerasien ist berühmt für schamanische Geister und buddhistische Götter. Es ist unklar, ob Blinken sich einen Vorteil verschaffte oder umgekehrt.
Förderung der regionalen Sicherheit und Stabilität
Ein Leitartikel in der Regierungszeitung China Daily wies am Donnerstag (13. Mai) auf die hohe Bedeutung hin, die Peking der diplomatischen Initiative C+C5 beimisst. Er stellte fest, dass der C+C5-Mechanismus «einen Aktionsplan skizziert, der eine stärkere institutionelle Garantie für die Zusammenarbeit bietet.»
Der Leitartikel fuhr fort: «Indem sie ihren Willen, eine gemeinsame Entwicklung zu verfolgen, in konkrete Projekte und Aktionen umsetzen, haben sie sich darauf geeinigt, einen C+C5-Mechanismus für regionale Zusammenarbeit einzurichten, den qualitativ hochwertigen Bau der ‹Belt and Road› zu fördern und drei Forschungszentren einzurichten, um die Zusammenarbeit in den Bereichen moderne Landwirtschaft, archäologisches und kulturelles Erbe sowie traditionelle Medizin zu stärken.»
Noch wichtiger ist, so der Leitartikel, dass das C+C5-Treffen das «strategische gegenseitige Vertrauen gestärkt und vereinbart hat, konzertierte Anstrengungen zu unternehmen, um eine chinesisch-zentralasiatische Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft aufzubauen [...] und zusammenzuarbeiten, um die regionale Sicherheit und Stabilität zu fördern und die internationale Gerechtigkeit zu schützen.»
In einer gemeinsamen Erklärung, die nach den Gesprächen herausgegeben wurde, heisst es: «Ihre gemeinsamen Anstrengungen zur Förderung der friedlichen Versöhnung in Afghanistan zeigen, dass die sechs Länder gemeinsam eine grössere Rolle spielen werden. […] Dass sie sich darauf geeinigt haben, einen Mechanismus für regelmässige Treffen der C+C5-Aussenminister einzurichten, zeigt, dass sie sich der Bedeutung der regionalen Einheit und Koordination bewusst sind.»
In Zentralasien soll keine Macht Zwietracht säen
Pekings Motivation scheint eine doppelte zu sein: «ein klares Signal zu senden, dass sie (C+C5) zusammenstehen, um sich der Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten und allen Handlungen zu widersetzen, die ihre zentralen Entwicklungsinteressen bedrohen»; und mit Nachdruck zu erklären, «dass Zentralasien für keinerlei Macht als Bühne für eine farbige Revolution dienen wird, und keiner fremden Macht erlauben wird, die Saat der Zwietracht zu säen».
Aussenminister Wang betonte, dass es notwendig ist, dass die Nachbarländer Afghanistans, einschliesslich Usbekistan und Tadschikistan, «ihre Positionen rechtzeitig koordinieren, mit einer Stimme sprechen und den afghanischen innerstaatlichen Friedensprozess voll unterstützen, um Schwierigkeiten zu überwinden und voranzukommen.»
Ebenso hat ein Kommentar in der Global Times die Bedenken Pekings erläutert, dass der Abzug der USA «chaotische Zustände hinterlassen und die Region zu einem Nährboden für die ‹Drei Übel› – Terrorismus, Separatismus und religiösen Extremismus – werden könnte».
Sich vor Farbrevolutionen schützen
Der Kommentar zitierte Expertenmeinungen, wonach neben Russland und China auch die zentralasiatischen Länder «den US-Militäraufmarsch auf ihrem Boden nur ungern aufnehmen» würden, da verstärkte politische und geheimdienstliche Aktivitäten der USA und die Einbindung lokaler Oppositionsparteien, NGOs und Mediengruppen einzig zu einer Farbrevolution führen würden. «Generell sind US-Truppen in der Region nicht sehr willkommen.»
Ausserdem sind die chinesischen Experten besorgt, dass der überstürzte US-Abzug den afghanischen Friedensprozess abwürgen und bürgerkriegsähnliche Zustände hervorrufen könnte, während die USA zuliessen, dass die Region zu einer «Brutstätte» für die «Drei Übel» und den Mohnanbau wurde – «und jetzt will Washington dieses Chaos den Ländern der Region überlassen.»
China besteht auf drei Schlüsselelemente
Bei dem Treffen in Xi'an erläuterte Wang die Position Chinas zum afghanischen Friedensprozess als solchen. Die drei Schlüsselelemente sind: die Notwendigkeit inklusiver politischer Vereinbarungen, um sicherzustellen, dass alle ethnischen Gruppen und Parteien teilnehmen können; die Ausarbeitung einer Verfassung, die den einzigartigen nationalen Bedingungen und Entwicklungsbedürfnissen Afghanistans entspricht, anstatt eine Demokratie nach westlichem Vorbild zu imitieren; und eine «moderate muslimische Politik» als Staatsideologie.
Peking erklärt, sein Ansatz und derjenige Russlands seien komplementär: «Russland kümmert sich mehr um die Sicherheit, und China hat die wirtschaftlichen Möglichkeiten.» Nun, hätte die SOZ diesen Zweck nicht auch erfüllt? Ein Grund dagegen könnte sein, dass nach der Aufnahme von Indien und Pakistan als Mitglieder die SOZ nicht mehr dieselbe ist.
US-Regierung darf sich nicht vor seiner Verantwortung drücken
Es ist denkbar, dass Russland, das bereits auf den bevorstehenden Gipfel mit dem US-Präsidenten fokussiert ist, sich scheut, die offen liegenden Nerven der Amerikaner zu berühren. Deshalb liegt wahrscheinlich zur Zeit die ganze Last auf Peking. Ein exklusiver Leitartikel im Organ der Kommunistischen Partei Chinas People's Daily von heute (14. Mai) trägt den Titel «U.S. can't just get away from it all in Afghan issues» (Die USA können sich in der Afghanistan-Frage nicht einfach davonschleichen).
Am Schluss heisst es: «Gegenwärtig sind die USA der grösste äussere Faktor in derAfghanistan-Frage. Das Weisse Haus darf sich nicht vor seiner Verantwortung drücken und sich aus allem heraushalten. Sein Abzug muss geordnet und verantwortungsvoll erfolgen und darauf abzielen, eine weitere Eskalation der Gewalt im Lande und den Aufmarsch Unruhe stiftender terroristischer Kräfte zu verhindern. Es soll ein günstiges äusseres Umfeld für die innerafghanischen Verhandlungen schaffen, nicht umgekehrt.»
In der Tat wäre es aus Moskauer Sicht unklug, sich zu diesem Zeitpunkt so offen zu äussern, da man weiss, wie hochsensibel Biden ist. Tatsächlich haben die US-Truppen in der Nacht vom 11. auf den 12. Mai im Schutze der Dunkelheit den riesigen Luftwaffenstützpunkt Kandahar geräumt, ohne die afghanischen Offiziellen auch nur zu informieren.
1 Die Shanghai Five-Gruppe war Vorläufer der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ). Sie wurde durch die 1996 in Shanghai erfolgte Unterzeichnung eines Vertrags über die «Vertiefung des militärischen Vertrauens in Grenzregionen» durch die fünf Länder Volksrepublik China, Russland, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan gegründet. Die SOZ besteht aus 8 Staaten und wurde 2001 gegründet. Mitglieder sind die Volksrepublik China, Indien, Kasachstan, Kirgisistan, Pakistan, Russland, Tadschikistan und Usbekistan.
Quelle: Indian Punchline, 14. Mai 2021
(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)
* M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, Iran und Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst «Indian Punchline». |