USA bombardieren Syrien

Biden missbraucht das Völkerrecht

von Binoy KAMPMARK*

(15. März 2021) Am 25. Februar ordnete Präsident Joe Biden Luftangriffe gegen Syrien an. Die Begründungen für diese Bombardierung sind wenig plausibel. Diese Angriffe wären als Reaktion auf die jüngsten Angriffe gegen amerikanisches und Koalitionspersonal im Irak und aufgrund anhaltender Bedrohungen für dieses Personal autorisiert, behauptete Pentagon-Sprecher John Kirby.1

Genauer gesagt wären die Angriffe eine Vergeltung für Raketenangriffe auf den Flughafen von Erbil im Nordirak, bei denen ein für das US-Militär arbeitender philippinischer Auftragnehmer getötet und sechs weitere Personen verletzt wurden, darunter ein Soldat der Louisiana National Guard. Bei den Zielen in Syrien handelte es sich um Einrichtungen, die von iranisch unterstützten Milizengruppen genutzt würden, darunter Kataib Hisbollah und Kataib Sayyid al-Shuhada. Nach Angaben der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte kamen bei dem Angriff bis zu 22 Menschen ums Leben.

Die Biden-Administration hat auf eine Taktik zurückgegriffen, die schon lange von US-Präsidenten angewandt wird: Um wahrgenommen zu werden, muss man ein Land bombardieren. Die Massnahme, eher ein Zeichen wütender Ohnmacht als starker Potenz, ist stets mit Jargon und bürokratischen Plattitüden gespickt. «Wir haben mehrmals gesagt, dass wir nach unserem Zeitplan reagieren werden», erklärte2 Verteidigungsminister Lloyd Austin den Reportern, die ihm auf einem Flug von Kalifornien nach Washington Gesellschaft leisteten. «Wir wollten zuerst die Verbindungen sichern und Gewissheit über die richtigen Ziele erlangen.» Er sei überzeugt, dass das Ziel von denselben schiitischen Militanten benutzt worden seien, die die Angriffe [vom 15. Februar] durchgeführt hätten.

Sieben 500-Pfund-Bomben wurden bei der Operation eingesetzt, obwohl Stars and Stripes zunächst berichtete3, dass «die Art der verwendeten Waffen» nicht bekannt gegeben wurde. Das Pentagon hatte eine grössere Anzahl von Zielen anvisiert, aber Biden habe sich zurückgehalten und, wie die New York Times es ausdrückt4, «eine weniger aggressive Option» genehmigt.

Kirby bestand darauf, dass die Operation das vernünftige Ergebnis von Diskussionen mit den Koalitionspartnern gewesen sei. «Die Operation sende eine unmissverständliche Botschaft: Präsident Biden würde handeln, um amerikanisches und Koalitionspersonal zu schützen.» Der Leichtgläubigkeit trotzend deutete5 der Sprecher an, dass die USA «bewusst so gehandelt hätten, um die Gesamtsituation sowohl im Osten Syriens als auch im Irak zu deeskalieren.»

Der Kongress, die Volkskammer, wurde, wenn auch nicht zum ersten Mal von dieser Regierung, im Regen stehen gelassen. Presseorgane wie Associated Press hatten das Märchen6, dass dies «die erste Militäraktion der Biden-Administration» sei, weitererzählt. Aber am 27. Januar berichtete7 die New York Times, dass die US-Luftwaffe 10 IS-Mitglieder in der Nähe von Kirkuk im Irak getötet habe, darunter Abu Yasser al-Issawi. Ein Sprecher der US-geführten Koalition gegen den Islamischen Staat [IS], Colonel Wayne Marotto, zeigte sich zufrieden8 mit dem blutigen Ergebnis: Yassers Tod sei ein weiterer bedeutender Schlag gegen die Bemühungen des IS, im Irak wieder Fuss zu fassen.

Selbst in der Anfangsphase einer präsidialen Administration, hätten sich die Medien einer solchen Nicht-Information gegenüber, empört beschweren sollen. Stattdessen gab es im Pressestall eine ganze Reihe von Leuten, die nur die Figur des vorherigen Bewohner des Weissen Hauses sehen konnten und Erleichterung darüber empfanden, dass Biden so vernünftig wäre.

Die Webseite The Daily Beast suggerierte9 mit wenig Substanz, dass der Luftangriff die Rücksichtslosigkeit der Trump-Administration vermissen liesse. Bobby Ghosh für die Agentur Bloomberg, verfiel10, mit der Behauptung dies sei Bidens «erster militärischer Angriff», einem Irrtum. Er zeigte sich überzeugt, dass die Aktion vernünftig gewesen sei, um die frechen Iraner «wissen zu lassen», dass der Präsident nicht bluffe. Der Iran und seine Stellvertreter wären völlig unvorbereitet erwischt worden. Sie hätten sich durch die anfängliche Zurückhaltung der Administration bei der Verurteilung der Angriffe im Irak und durch den Willen des Weissen Hauses, nicht ‹um sich zu schlagen und eine Eskalation zu riskieren›, in einem Gefühl der Straffreiheit gewiegt.

Ghosh geht sogar so weit, den Militärschlag vom 25. Februar als notwendiges Gegenmittel gegen eine lähmende und unproduktive Diplomatie zu loben, wobei er Berichte ignoriert11, die darauf hindeuten, dass der Iran die schiitischen Milizen im Irak ermutigt hat, von exzessiver Gewalt Abstand zu nehmen. Die USA, einschliesslich ihrer Verbündeten, Grossbritannien, Frankreich und Deutschland, hätten zunächst eine Haltung der «studierten Ruhe»12 eingenommen. Diese Phase der Zurückhaltung wäre nun glücklicherweise vorbei: Biden hätte nun bewiesen, dass er gleichzeitig vorwärts gehen und Kaugummi kauen könne. Und so kommt es, dass ein Akt der Selbstjustiz, der die Souveränität eines Staates verletzt, gelobt wird.

Nicht alle haben die Tat als notwendig rehabilitiert. Mary Ellen O'Connell von der Notre Dame Law School war der Meinung13, dass dieser Militärschlag nicht die notwendigen «Elemente» einer notwendigen Gewaltanwendung erfüllte. «Die Charta der Vereinten Nationen macht absolut klar, dass die Anwendung militärischer Gewalt auf dem Territorium eines fremden souveränen Staates nur rechtmässig ist, als Reaktion auf einen bewaffneten Angriff auf den verteidigenden Staat, für den das Ziel verantwortlich ist.»

Auch der Senator von Vermont, Bernie Sanders, zeigte sich beunruhigt über den Schlag und befürchtet14, dass er «unser Land dazu führt, den ewigen Krieg fortzusetzen, anstatt ihn zu beenden. Das ist derselbe Weg, auf dem wir uns seit fast zwei Jahrzehnten befinden.» Der demokratische Senator von Maine, Tim Kaine, hob die Rolle15 der Macht des Kongresses hervor. «Offensive Militäraktionen ohne Zustimmung des Kongresses sind nicht verfassungsgemäss, ausser bei aussergewöhnlichen militärischen Umständen.»

Die Demokratin aus Minnesota, Rep. Ilhan Omar, wies darauf hin16, dass die derzeitige Pressesprecherin des Weissen Hauses, Jen Psaki, 2017 selbst Präsident Donald Trump kritisiert hatte, weil er einen Angriff als Vergeltung für einen Chemiewaffenangriff autorisiert hatte. «Assad ist ein brutaler Diktator», twitterte17 Psaki damals. «Aber Syrien ist ein souveränes Land.» Ein weiteres, vergessenes Gefühl in einer zunehmend vergesslichen Administration.

Leider neigen Kriegsapologeten dazu, fortlaufende Rechtfertigungen in den elastischen imperialen Bestimmungen zu finden, die sich im Dokument Authorization for the Use of Military Force (AUMF = Bewilligung für den Einsatz von militärischer Gewalt) befinden. Die AUMF von 2001 war gegen die Täter der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA ausgerichtet. Die AUMF von 2002 war gegen den Irak gerichtet.

Ihre extremer Umfang hat die einzige Person verärgert, die im Parlament gegen sie gestimmt hatte. «Fast 20 Jahre, nachdem ich die einzige Nein-Stimme zur Bewilligung für den Einsatz militärischer Gewalt (AUMF) von 2001 abgegeben habe», erklärte18 die kalifornische Repräsentantin des Kongresses, Barbara Lee, «wurden sowohl die AUMFs von 2001 als auch von 2002 von drei aufeinanderfolgenden Präsidenten eingesetzt, um Kriege zu führen, die weit über das hinausgehen, was der Kongress ursprünglich beabsichtigt hatte.»

Biden geht nicht einmal so weit, solche Autoritäten zu zitieren, sondern erklärt19 stattdessen, dass die Angriffe «in Übereinstimmung [sind] mit meiner Verantwortung, die Bürger der USA im In- und Ausland zu schützen und zur Förderung der nationalen Sicherheit und der aussenpolitischen Interessen der USA, gemäss meiner verfassungsmässigen Befugnisse, die Aussenbeziehungen der Vereinigten Staaten zu führen, sowie als Oberbefehlshaber der Armee und als Chef der Exekutive.»

Seine Argumentation überspannend, meinte Biden, dass seine Aktion auch mit Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen vereinbar sei, der das Recht eines Staates auf Selbstverteidigung anerkennt. Nicht einmal die Präsidenten George W. Bush, Barack Obama oder Donald Trump hatten sich die Mühe gemacht, das Völkerrecht für eine solch rücksichtslose Intervention herbeizuziehen, sondern sie haben sich auf die eigenen Machtquellen beschränkt. Aber solche Tugendhaftigkeitssignale riefen ein gewisses Lob hervor, vor allem vom20 ehemaligen Rechtsberater des Aussenministeriums, John B. Bellinger III. Der erste Bericht des Präsidenten über die Kriegsbefugnisse war «ein Musterbeispiel für die Praxis der Kriegsbefugnisse und für Transparenz.»

Der Kongress hat in den letzten Jahren einige Anstrengungen unternommen, um den Oberbefehlshaber bei übereifrigen Einsätzen zu bremsen. Die War Powers Resolution versuchte, die US-Beteiligung am Jemen-Konflikt zu beenden. Im Jahr 2020 beschlossen die Mitglieder des Kongresses, Trump in bescheidenem Masse daran zu hindern, einen ausgewachsenen Krieg mit dem Iran zu beginnen. Aber die Anschläge vom 25. Februar zeigen, dass der Missbrauch der militärischen Macht der USA durch die imperiale Exekutive eine gefährliche Orthodoxie bleibt, die weiterhin ihre Verteidiger hat.

Quelle: https://orientalreview.org/2021/03/02/delusions-of-self-defense-biden-bombs-syria/, 2.3.2021

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

* Binoy Kampmark lehrt am Royal Melbourne Institute of Technology (RMIT University, Australien). Seine Forschungs- und Lehrinteressen liegen in den Überschneidungen von Recht, internationalen Beziehungen und Geschichte. Ein Grossteil seiner Forschung und Lehre umfasst die Untersuchung von Konflikten, Diplomatie und den verschiedenen Krisen, mit denen die internationale Gesellschaft konfrontiert ist, darunter Flüchtlinge, Terrorismus, «Schurkenstaaten» und Bürger ohne Papiere (Sans-Papiers).

1 https://www.stripes.com/news/middle-east/us-airstrikes-target-syrian-sites-connected-to-iranian-backed-militants-1.663641


2 https://apnews.com/article/ap-top-news-john-kirby-iran-syria-iraq-c10b1fb0ed653e687bfbf57d04b591b5


3 https://www.stripes.com/news/middle-east/us-airstrikes-target-syrian-sites-connected-to-iranian-backed-militants-1.663641


4 https://www.nytimes.com/2021/02/25/us/politics/biden-syria-airstrike-iran.html


5 https://www.stripes.com/news/middle-east/us-airstrikes-target-syrian-sites-connected-to-iranian-backed-militants-1.663641


6 https://apnews.com/article/ap-top-news-john-kirby-iran-syria-iraq-c10b1fb0ed653e687bfbf57d04b591b5


7 https://www.nytimes.com/2021/01/29/world/middleeast/us-airstrike-kills-top-isis-leader-in-iraq.html


8 https://www.nytimes.com/2021/01/29/world/middleeast/us-airstrike-kills-top-isis-leader-in-iraq.html


9 https://www.thedailybeast.com/bidens-syria-airstrikes-may-feel-like-trump-deja-vu-heres-why-its-different


10 https://www.bloomberg.com/opinion/articles/2021-02-26/biden-s-military-air-strike-attack-in-syria-should-wake-up-iran


11 https://www.middleeasteye.net/news/iraq-kurds-erbil-attack-shia-commanders-warning


12 https://www.reuters.com/article/us-iran-nuclear-usa/u-s-allies-respond-to-iranian-provocations-with-studied-calm-idUSKBN2AP0F3


13 https://apnews.com/article/ap-top-news-john-kirby-iran-syria-iraq-c10b1fb0ed653e687bfbf57d04b591b5


14 https://www.sanders.senate.gov/press-releases/news-sanders-statement-on-air-strikes-in-syria/


15 https://www.vox.com/22302970/biden-syria-iran-strike-kaine-sanders-khanna-murphy-legal


16 https://twitter.com/IlhanMN/status/1365150215708299271


17 https://twitter.com/jrpsaki/status/850173258540474368


18 https://lee.house.gov/news/press-releases/congresswoman-barbara-lee-continues-efforts-to-stop-endless-wars

19 https://www.whitehouse.gov/briefing-room/statements-releases/2021/02/27/a-letter-to-the-speaker-of-the-house-and-president-pro-tempore-of-the-senate-consistent-with-the-war-powers-resolution/

20 https://www.lawfareblog.com/president-bidens-inaugural-war-powers-report

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