USA riskieren Konfrontation mit Russland


M. K. Bhadrakumar (Bild zvg)

von M. K. Bhadrakumar* 


(27. Dezember 2020) Der stellvertretende russische Aussenminister Sergej Rjabkow bemerkte letzte Woche, dass Moskau nichts Gutes in den Beziehungen zu den «zutiefst feindseligen» USA unter der neuen Regierung von Joe Biden erwartet. Weiter sagte er in einem am Donnerstag 24. Dezember 2020 veröffentlichten Interview mit Interfax: «Wir bewegen uns vom Regen in die Traufe. Dem nächsten US-Präsident wurde ein schlechtes Erbe hinterlassen, und es wird lange dauern, bis er das beheben kann.»


Rjabkow eröffnete, dass Moskau keine Kontakte mit Bidens Übergangsteam hatte «und wir werden das auch nicht tun. Letztendlich liegt es an den Amerikanern zu entscheiden, was, wann und wie wir unsere bilateralen Beziehungen gestalten wollen.» Er schloss einen «selektiven Dialog» mit der neuen Administration nicht aus, schätzte aber ein, dass «wir definitiv nichts Gutes erwarten.»


Denn, so schloss Rjabkow, es wäre seltsam, bessere Beziehungen zu erwarten «von Leuten, von denen viele ihre Karriere damit verbracht haben, Russophobie zu betreiben und mein Land mit Schmutz zu bewerfen». Rjabkow ist im Aussenministerium für die Beziehungen zwischen Russland und den USA zuständig, und die deutlichen Worte sollten der neuen Biden-Administration vermitteln, dass Moskau nicht in der Stimmung ist, sich zu ergeben, und in der Lage ist, Massnahmen zu ergreifen, die die Sicherheit der USA beeinträchtigen.


Tatsächlich versicherte Aussenminister Sergej Lawrow am selben Tag in Moskau, dass Russland Vergeltungsmassnahmen gegen die US-Sanktionen ergreifen werde, und zwar auf eine Art und Weise, die «die gesamte Bandbreite der russisch-amerikanischen Beziehungen» tangiere, ohne dies näher auszuführen. Er sagte: «Die USA verfolgen seit langem eine feindliche Politik gegenüber unserem Land. Eine Antwort wird sicherlich folgen, nicht nur in Bezug auf eine Gegenreaktion, sondern wir werden auch weitere Konsequenzen auf die gesamte Bandbreite der russisch-amerikanischen Beziehungen ziehen.»

Lawrow äusserte sich zu den jüngsten US-Sanktionen, die am Montag gegen eine Reihe russischer Unternehmen verhängt wurden, die mit den Streitkräften zusammenarbeiten. Lawrow sagte, diese Sanktionen basierten auf einer Strategie, «die darauf abziele, Washingtons Konkurrenten auf den globalen Märkten zu schwächen, und verletzten eklatant die Regeln der Welthandelsorganisation.»


Tatsächlich hat sich die russische Haltung in den letzten Wochen merklich verhärtet. Bestimmte Äusserungen von Präsident Wladimir Putin auf der Jahrespressekonferenz am 17. Dezember 2020 in Moskau deuten darauf hin, dass der Kreml die bisher verfolgte Politik der «strategischen Geduld» überdacht hat und den Streitkräften angesichts der amerikanischen Provokationen ein selbstbewusstes Vorgehen gestatten könnte.


Putin betonte nachdrücklich, dass Russland den USA nicht nur mit den von ihm entwickelten Hyperschallwaffen überlegen sei, sondern «wir arbeiten unter anderem an einem ‹Gegenmittel› gegen künftige Hyperschallwaffen aus anderen Ländern ... Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen werden und auf dem richtigen Weg sind.»
Putin betonte, dass allein die Existenz von Russlands Hyperschall-Raketensystemen die globale Situation beeinflusst und verändert hat. Er erwähnte insbesondere das hochentwickelte silobasierte System RS-28 Sarmat, eine Schwerlast-Interkontinentalrakete mit Flüssigtreibstoff und einem Wurfgewicht von 10 Tonnen, die unbemannte Unterwasser-Drone Poseidon, die Laserwaffen Kinschal und Pereswet, das Hyperschall-Raketensystem Avangard, dessen Geschwindigkeit Mach 20 übersteigt, und den Hyperschall-Langstrecken-Seeziel-Marschflugkörper Tsirkon, der mit über achtfacher Schallgeschwindigkeit fliegt.


Putin bemerkte: «Ausserdem kann er (Tsirkon) sowohl auf stationären Trägern als auch auf Über- und Unterwasserschiffen platziert werden. Wo können diese stationiert werden? In neutralen Gewässern. Dort können sie die Reichweite und die Geschwindigkeit berechnen, und den Rest kann man sich ausdenken. Wird dadurch die (globale) Situation irgendwie verändert und beeinflusst? Natürlich wird sie verändert und beeinflusst.»


In einer Rede am 21. Dezember 2020 auf der jährlichen erweiterten Sitzung des Verteidigungsministeriums in Moskau wies Putin erneut auf die «hohen Eskalationsrisiken im Südkaukasus, im Nahen Osten, in Afrika und anderen Regionen hin. Die militärischen Aktivitäten der NATO halten an... Es ist notwendig, unsere Atomwaffen in hoher Kampfbereitschaft zu halten und alle Komponenten der nuklearen Triade weiterzuentwickeln. Dies ist von grundlegender Bedeutung, um unsere nationale Sicherheit zu gewährleisten und die strategische Parität in der Welt zu bewahren ...»


Putin sagte, «wir müssen bereit sein, rechtzeitig auf die Stationierung von Abwehrraketen der westlichen Länder in der Nähe unserer Grenzen zu reagieren. Wenn wir dazu gezwungen werden, müssen wir alle Reaktionsmassnahmen ergreifen und dies in kürzester Zeit ... Ich möchte betonen, dass wir in Bezug auf die strategischen Einsatzkräfte bereits intensiv geforscht haben und technologische Vorarbeiten für Gerätschaften entwickelt haben, für die es in der Welt keine Gegenstücke gibt.»


In den amerikanischen Strategiedebatten herrscht die gefährliche Annahme, dass das Streben nach US-Hegemonie unhinterfragt fortgesetzt werden kann, da Russlands Wirtschaft nicht in der gleichen Liga wie die USA spiele und Moskau keine Konfrontation mit den USA und der NATO suche. Aber die Signale, die aus Moskau kommen, lauten, dass Russland sich der amerikanischen Vorstellung von der Weltherrschaft nicht beugen wird. Moskau ist zum Schluss gekommen, dass angesichts des allgegenwärtigen Anti-Russland-Narrativs, das in der amerikanischen Elite fest verankert ist, jegliche Zugeständnisse Russlands im Interesse einer spürbaren Verbesserung der Beziehungen zu Washington keinen Sinn mehr machen.


Auf amerikanischer Seite ist man sich nicht ausreichend bewusst, dass die Gefahr einer nuklearen Konfrontation wächst. Eine Eskalation der militärischen Spannungen zwischen den USA und Russland ist sehr wohl denkbar. Sie könnte in Syrien, der Ukraine oder auf hoher See stattfinden. Der Generalstabschef der russischen Streitkräfte, General Waleri Gerassimow, sagte am 24. Dezember 2020 auf einer Pressekonferenz für ausländische Militärattachés in Moskau, dass die Übungsaktivitäten der NATO – «unter zunehmender Beteiligung von Nicht-NATO-Ländern» – eine ausgesprochen russlandfeindliche Richtung eingeschlagen hätten und es zu zunehmenden Provokationen an den westlichen Grenzen Russlands komme.


Gerassimow sagte: «Der erhebliche Anstieg der Besuche von NATO-Schiffen im Schwarzen Meer, in der Ostsee und in der Barentssee ist alarmierend. Auch die Zahl der Flüge von strategischen US-Flugzeugen hat zugenommen.» Er hielt fest, dass es «bis heute keine Reaktionen (der NATO)» auf russische Vorschläge zur Reduzierung der militärischen Aktivitäten entlang der Konfliktlinie zwischen Russland und der NATO auf der Grundlage von Wechselseitigkeit und maximaler Transparenz und für einen effektiven Mechanismus zur Verhinderung gefährlicher militärischer Aktivitäten in der Luft und auf See – in erster Linie in der Ostsee- und Schwarzmeerregion – gegeben habe.


In der Tat steht auch Russland vor diesem Hintergrund nicht still. Während in historischer Perspektive der Anteil moderner Ausrüstung in der Sowjetarmee 54 Prozent und in den strategischen und Nuklearkräften 65 bis 70 Prozent betrug, was im Weltmassstab ein hohes Niveau war, liegt der Anteil moderner Waffen und Ausrüstung heute bei über 70 Prozent und bei den Nuklearkräften bei 86 Prozent. Immer wieder gibt es Berichte über die Einführung neuer Waffen in den Streitkräften.


Derweil verschliessen die amerikanischen Strategen weiterhin die Augen vor einem allfälligen Bündnis zwischen Russland und China. Sie gehen munter davon aus, dass es möglich ist, beide Länder durch Sanktionen und Beschränkungen des Handels, der Investitionen, der Finanzen und der Technologie erfolgreich einzudämmen und allmählich zu zermalmen und gleichzeitig ihre innere Stabilität zu untergraben, indem man die inländische Opposition gegen das Regime, die Indoktrination «prowestlicher» Elemente und die Informationskriegsführung usw. finanziert.


Ebenso haben eine Reihe von Themen – z. B. die wachsenden Spannungen um Taiwan und die Schlüsselrolle der Ukraine in Bidens aussenpolitischem Entwurf – Russland und China dazu veranlasst, sich gegen Risiken abzusichern und ihre partnerschaftlichen Netzwerke zu vertiefen. Es ist eine historische Fehleinschätzung, den Mut Russlands und Chinas zur Zurückweisung von Angriffen zu unterschätzen.


Irgendwann werden Moskau und Peking keine andere Möglichkeit mehr sehen, als die Amerikaner durch gemeinsame Anstrengungen zurechtzustutzen. Die Möglichkeit eines taktischen Bündnisses zwischen Russland und China wächst rapide. Es wird begünstigt durch die gemeinsamen Herausforderungen, denen sie gegenüberstehen: die USA hören nicht auf sie zu bedrängen und zu unterdrücken, sich in ihre inneren Angelegenheiten einzumischen und sie mit feindlichen Allianzen zu umzingeln.


* M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, Iran und Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst «Indian Punchline».

Quelle: https://indianpunchline.com/us-risks-confrontation-with-russia/ vom 27.12.2020 
(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

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