Aufruf von Linken und Grünen: Ja zur Neutralitätsinitiative!
Zur Unterstützung der Volksinitiative «Wahrung der schweizerischen Neutralität»
von Dr. Pascal Lottaz*
(18. Januar 2024) Eine Gruppe engagierter Bürgerinnen und Bürger in der Schweiz hat das Verfahren für eine politische Initiative1 eingeleitet, deren Ziel es ist, eine Definition der Aussenpolitik des Landes in die Verfassung aufzunehmen. Wenn die Initiative bis Mai 2024 von 100 000 Stimmberechtigten unterschrieben wird, kommt es in einigen Jahren zu einer obligatorischen Volksabstimmung. Obwohl die Initiative von Wählern und Aktivisten aus allen Teilen des politischen Spektrums des Landes unterstützt wird, wird sie in Medienberichten häufig als «rechts» bezeichnet. Um dieser Darstellung entgegenzuwirken, veröffentlichen wir einen Unterstützungsbrief von links und grün wählenden Bürgern, um zu zeigen, dass es viele linke Argumente gibt, die diese wichtige politische Idee unterstützen.
Ein Schock und seine Folgen
Nach dem militärischen Einmarsch Russlands in die Ukraine am 24. Februar 2022 folgte die Schweizer Regierung sofort der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten und verhängte Sanktionen gegen Russland in noch nie dagewesener Höhe. Obwohl die Schweiz ihre militärische Neutralität gegenüber dem Konflikt beibehält und keine Waffen an die Ukraine liefert, hat sie sich wirtschaftlich und ideologisch für die eine Seite entschieden.
Das Vorgehen der Schweiz steht in besonders starkem Kontrast zu den Massnahmen der meisten nichteuropäischen Staaten wie Indien, China, afrikanische Länder oder südamerikanische Staaten, die alle die Forderungen der USA und der EU nach Sanktionen gegen Russland abgelehnt haben.
Diese Entwicklung hat viele Schweizer Bürger beunruhigt, die trotz der Entscheidung Schwedens und Finnlands, der Nato beizutreten, mit überwältigender Mehrheit für die Neutralität ihres Landes eintreten. Obwohl die Ansichten der Schweizer über die sicherheitspolitische Zusammenarbeit gemischt sind, bemüht sich die Schweizer Regierung derzeit intensiv darum, die Sicherheit des Landes mit derjenigen der EU und der Nato zu verbinden.2
Eine Volksinitiative wird ins Leben gerufen
Im Herbst 2022 beschloss eine Gruppe von Schweizer Bürgerinnen und Bürgern,3 einen Kurswechsel zu versuchen, indem sie eine politische Initiative lancierten, die nach dem politischen System des Landes zu einer obligatorischen Volksabstimmung führen wird, wenn innerhalb von 18 Monaten 100 000 Unterschriften gesammelt werden können. Die Initiative schlägt vor, die schweizerische Neutralität in der Bundesverfassung zu verankern, in der das Konzept zwar erwähnt wird, die aber keine Angaben zur Bedeutung dieser Politik enthält. Konkret lautet der Initiativtext wie folgt:
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 54a Schweizerische Neutralität
1 Die Schweiz ist neutral. Ihre Neutralität ist immerwährend und bewaffnet.
2 Die Schweiz tritt keinem Militär- oder Verteidigungsbündnis bei. Vorbehalten ist eine Zusammenarbeit mit solchen Bündnissen für den Fall eines direkten militärischen Angriffs auf die Schweiz oder für den Fall von Handlungen zur Vorbereitung eines solchen Angriffs.
3 Die Schweiz beteiligt sich nicht an militärischen Auseinandersetzungen zwischen Drittstaaten und trifft auch keine nichtmilitärischen Zwangsmassnahmen gegen kriegführende Staaten. Vorbehalten sind Verpflichtungen gegenüber der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) sowie Massnahmen zur Verhinderung der Umgehung von nichtmilitärischen Zwangsmassnahmen anderer Staaten.
4 Die Schweiz nutzt ihre immerwährende Neutralität für die Verhinderung und Lösung von Konflikten und steht als Vermittlerin zur Verfügung.
Zur Unterstützung der Initiative
Die Initiative wurde in den öffentlichen Schweizer Medien wiederholt als «rechtslastig»4 oder als «Blocher-Initiative»5 kritisiert – benannt nach dem ehemaligen Justizminister und früheren Vorsitzenden der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP), Christoph Blocher. Obwohl Herr Blocher in der Tat eine der ersten politischen Persönlichkeiten war, die im Jahr 2022 eine Neutralitätsinitiative vorschlug, wurde das eigentliche Projekt von einem unabhängigen Bürgerkomitee lanciert und durchgeführt, dem Vertreter der meisten politischen Parteien in der Schweiz angehören.
Neutralitystudies.com unterstützt diese Initiative und hat einen Unterstützungsbrief lanciert, der zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung am 10. Januar 2024 51 Unterschriften von Vertretern linker und grüner Anliegen in der Schweiz hatte.
Die von der Initiative vorgeschlagene Verfassungsänderung ist gut formuliert und lässt Flexibilität in der Aussenpolitik zu, würde aber der jetzigen und künftigen Regierungen die Hände binden, was den Beitritt zur Nato betrifft. Der Text stellt auch sicher, dass die Schweiz nicht von sich aus Sanktionen gegen ausländische Staaten verhängt, sondern dies nur unter sehr strengen Bedingungen tut, wenn entweder der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Sanktionen anordnet oder wenn Handelsbeschränkungen eingeführt werden müssen, um die Umgehung von Sanktionen durch Partnerstaaten zu verhindern. Diese Bestimmungen würden sicherstellen, dass die Schweiz nicht von Sekundärsanktionen der USA oder der EU betroffen wird, da Bern bei Bedarf immer noch Sanktionen verhängen kann (allerdings nicht automatisch und in allen Bereichen).
Die Autoren des Appels sind der Meinung, dass diese Volksinitiative für die Zukunft der schweizerischen Neutralität von entscheidender Bedeutung ist, um den Pro-Nato-Kurs der derzeitigen Regierung zu korrigieren und zu verhindern, dass die Schweiz in die Fussstapfen Schwedens und Finnlands tritt.
* Dr. Pascal Lottaz ist ausserordentlicher Professor an der Universität Kyoto, wo er die Neutralität in den internationalen Beziehungen untersucht und das Forschungsnetzwerk neutralitystudies.com leitet. Er ist Schweizer Bürger und Mitglied der internationalen Sektion der Sozialdemokratischen Partei. Seit 10 Jahren lebt er in Japan. Zu seinen neueren Büchern gehören «Sweden, Japan, and the Long Second World War» (Routledge, 2022), «Neutral Beyond the Cold: Neutral States and the Post-Cold War International System» (Lexington Books, 2022), und «Notions of Neutralities» (Lexington Books, 2019). Er schrieb auch Artikel über «Neutrality Studies» für die Oxford Encyclopedia und «The Politics and Diplomacy of Neutrality» für die Oxford Bibliography. Sie können ihm auf YouTube folgen: youtube.com/@neutralitystudies. |
3 https://neutralitaet-ja.ch/komitee-2/
4 https://www.nzz.ch/meinung/wer-hat-angst-vor-der-neutralitaetsinitiative-ld.1739662
Für weitere Informationen und für den Erhalt von Unterschriftenbögen zur Volksinitiative «Wahrung der schweizerischen Neutralität» klicken Sie hier: https://www.neutralitaet-ja.ch |