Bern–Washington, neue Spannungen

Christian Campiche. (Bild
www.infomeduse.ch)

von Christian Campiche,* Lausanne

(15. August 2023) Und es geht wieder los! Man dachte, die Schweiz hätte sich nach der Affäre um die nachrichtenlosen Vermögen wieder mit den USA versöhnt. Dem ist nicht so. Aber ist das wirklich verwunderlich?

1998 einigten sich Bern und Washington darauf, dass die Schweizer Banken 1,25 Milliarden Dollar an die Opfer des Holocaust und ihre Nachkommen zurückzahlen sollten. Das Abkommen ruinierte zwar nicht den Schweizer Finanzplatz, aber es führte dazu, dass das Schweizer Bankgeheimnis zugunsten amerikanischer Steuerparadiese aufgehoben wurde. Vor allem aber besiegelt es das Ende eines Mythos. Die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Staaten haben nichts mehr mit Freundschaft zu tun. Jetzt steht der Konkurrenzkampf im Vordergrund. In einem gnadenlosen Wettstreit, mit gezinkten Karten.

Fünfundzwanzig Jahre später geht es erneut darum, die Schweiz in die Schranken zu weisen. Das Alpenland ist nicht genügend diszipliniert bei der Umsetzung der Sanktionen, die gegen Russland verhängt wurden, um es für den Einmarsch in die Ukraine zu bestrafen. Es ist also kein Zufall, dass man plötzlich wieder von der Helsinki-Kommission hört, einer der US-Regierung nahestehenden Behörde, deren Name an die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die KSZE, gekoppelt ist. 1975, mitten im Kalten Krieg, einigten sich die Grossmächte auf ein umfassendes Sicherheitskonzept, das eine nukleare Entgleisung verhindern sollte. Die UdSSR war selbstverständlich an diesem Forum beteiligt, an dessen Ausarbeitung die Schweiz eine aktive Rolle spielte.

Das derzeitige Paradoxon besteht darin, dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der Nachfolger der KSZE, offiziell Partei für die Ukraine gegen Russland ergreift, was für den westlichen Block eine Abkehr vom Helsinki-Pakt bedeutet. Die Nato bricht mit Moskau, ihrer ursprünglichen Vertragspartei. Ein Widerspruch, der die Helsinki-Kommission und insbesondere eines ihrer Mitglieder, den Finanzier Bill Browder, Mitbegründer des früher in Russland sehr aktiven Investmentfonds Hermitage, in keiner Weise zu stören scheint. Der US-Kongress beauftragte ihn damit, zwei ehemaligen Bundesstaatsanwälten und einem Beamten des Bundesamts für Polizeiwesen die Ohren lang zu ziehen. Da diese Personen an einer Feier am Baikalsee teilgenommen haben, beschuldigt er sie der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch russische Oligarchen, was die Betroffenen vehement bestreiten.

Die Schweizer Medien haben dieser neuen Spannung bislang nur wenig Raum gegeben. So wurde beispielsweise nicht darüber berichtet, dass Herr Browder, ein Redner auf dem Wirtschaftsforum in Davos, der Enkel des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei der USA in den 1930er Jahren, Earl Browder, ist. Auf den ersten Blick nichts wirklich Skandalöses, aber die mangelnde Neugier der Medien erstaunt trotzdem, wenn man nur ein wenig über die Auswirkungen nachdenkt, die für die Schweiz auf dem Spiel stehen.

Zugegebenermassen kommt es bei den Medien nicht mehr auf eine Oberflächlichkeit mehr oder weniger an. Als sich das Verteidigungsdepartement entgegen jeder Logik der kontinentalen Solidarität für den amerikanischen Jagdbomber F-35 entschied – es waren auch europäische Kampfflugzeuge im Rennen – gab es nur wenige kritische Stimmen, die sich über die Absurdität dieser Entscheidung wunderten.

* Christian Campiche, 1948, ist ein Schweizer Journalist, Essayist und Romanautor. Er war Journalist bei der Schweizerischen Depeschenagentur (1980–1988), stellvertretender Chefredaktor des Magazins Bilan (1989–1994) und der Tageszeitung L'AGEFI (1994–1996). Er leitete den Wirtschaftsteil des Journal de Genève (1996–1998) und von La Liberté (2000–2007). Er ist Mitarbeiter der Online-Zeitungen Infosperber, journal21 und sept.info. Im Jahr 2003 gründete er die Schweizer Online-Zeitung la méduse, die er bis heute betreibt.

Quelle: https://www.infomeduse.ch/2023/07/30/berne-washington-nouvelle-tension, 30. Juli 2023

(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)

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