Internationale Gesundheitsvorschriften (IGV)
Den Rechtsstaat erhalten
WHO als Machtinstrument erkennen und handeln
von Dr. med. Sabine Vuilleumier-Koch
(17. Januar 2025) Die Veranstaltung des «Schweizer Standpunkt» vom 3./4. Januar 2025 mit lic. iur. Jürg Vollenweider, ehemaliger Leitender Staatsanwalt im Kanton Zürich, stiess auf grosses Interesse. Mit seinem Vortrag wurde er seinem Anliegen mehr als gerecht: «Wir müssen die Menschen über die neuen Regelwerke der WHO und ihre Auswirkungen auf unsere freiheitlichen Grundrechte in ihrer Sprache aufklären, damit sie die gefährlichen Tendenzen zum Ausbau unkontrollierte Machtstrukturen verstehen können.» Seine spannenden, differenzierten Ausführungen klärten auf und regten die Zuhörenden zu vielen Fragen und eigenen Überlegungen an.*
1951 erstmals als «Internationales Sanitätsreglement» von der WHO herausgegeben und 2005 in «Internationale Gesundheitsvorschriften» (IGV) umbenannt, sollten diese Reglemente die im Bereich der Infektionen notwendige Zusammenarbeit der Staaten weltweit gestalten. Seit dem 1. Juni 2024 liegen nun aber IGV vor, die ein Instrument der Alleinherrschaft des Generaldirektors der WHO in der Handhabung von weltweiten Infektionskrankheiten darstellen. Sie gehen weit über das primäre Ziel hinaus. Wer sie akzeptiert, nimmt bewusst einen Verlust an Souveränität in der landeseigenen Gesundheitspolitik in Kauf, da es sich bei den IGV um verpflichtendes Völkerrecht handelt.
Zentrale Kritikpunkte
Der Referent machte die juristische Sprache der IGV für das Publikum verständlich.
Als Kernstück seiner Kritik nannte er die Informationskontrolle. Unter dem Deckmantel der Bekämpfung von «Fehlinformationen und Desinformation» sollen sich die Mitgliedstaaten verpflichten, die Rede- und Meinungsfreiheit einzuschränken. Die WHO sehe sich im Besitz der alleinigen «Wahrheit». Sie sei nicht grundsätzlich schlecht, aber von der Pharma-Industrie gekapert. 80% des Budgets der WHO seien zweckgebundene, freiwillige Spenden von Ländern und Privaten. Als «Fehlinformation und Desinformation» bezeichnet die WHO Informationen, die nicht den Interessen der «Spender» entsprächen und deshalb unterdrückt werden müssten.
Auch will die WHO die «relevanten Gesundheitsprodukte» wie Tests, Impfungen, Medikamente vorschreiben, die in dieser Situation angewendet werden dürfen. – Man denke nur an bereits erprobte, günstige Alternativmedikamente, deren Anwendung während der Covid-Krise verhindert wurde.
Weiter muss jeder Mitgliedstaat, so auch die Schweiz, personelle und finanzielle Ressourcen bereitstellen und nationale Gesetze anpassen, um eine zusätzliche «dauerhafte Kontaktstelle» für die WHO einzurichten. In der Schweiz erachtet sich das Bundesamt für Gesundheit (BAG) als dafür geeignet.
Der Generaldirektor kann wie bisher alleine einen «Gesundheitsnotstand von internationaler Tragweite» ausrufen, neu jedoch ergänzt durch die Idee einer «pandemischen Notlage». Seine Entscheidungen unterliegen keiner Kontrollinstanz, er ist immun.1 Mit der Ausrufung des einen oder anderen (wahrscheinlichen) «Notstandes» werden alle Mitgliedsländer – 194 an der Zahl – zu der Ergreifung der von der WHO vorgegebenen Massnahmen verpflichtet. Alle diese weitreichenden Anpassungen wurden vom Bundesrat den Parlamentariern gegenüber wiederholt als «geringfügige technische Anpassungen mit beschränkter Tragweite» bezeichnet. Ihre Bedeutung wird sträflich verharmlost.
Im sogenannten Konsens «angenommen»
Erschreckend waren die Erklärungen von Jurist Vollenweider dazu, wie die neuen Anpassungen der IGV an der 77. Weltgesundheitsversammlung (WHA) verabschiedet wurden. Sie tagte vom 27.–31. Mai 2024 in Genf.
Die WHO verstiess gegen Art. 55 Abs. 2 ihrer eigenen IGV, indem die 4-monatige Frist zwischen der Übermittlung der endgültigen Änderungsvorschläge und deren Verabschiedung an der Weltgesundheitsversammlung nicht eingehalten wurde. Diese Frist ist eine zwingende Formvorschrift. Sie dient der Rechtssicherheit. Die Ländervertreter sollen genügend Zeit haben, sich mit den Anpassungen auseinanderzusetzen und deren innerstaatliche Auswirkungen prüfen zu können.
Statt bis spätestens am 27. Januar 2024 wurde eine konsolidierte Entwurfsfassung der zuständigen Arbeitsgruppe aber erst am 17. April 2024 veröffentlicht, weitere Änderungen folgten am 20. Mai und 1. Juni.
Mit der Nichteinhaltung dieser Frist wurde ein Rechtsbruch begangen, der alleine schon Grund genug für die Ablehnung dieser Anpassungen ist.
Es ging aber noch weiter: Am 30. Mai wurde im sachlich zuständigen Committee A die letzte ordentliche Abstimmung über die IGV-Revision durchgeführt. Sie ergab 26 Ja-, 67 Nein-Stimmen und 9 Enthaltungen bei insgesamt 177 gemeldeten und 75 abwesenden Stimmberechtigten, d.h., die IGV-Revision wurde von diesem Komitee deutlich abgelehnt. In Unterbrechung der Plenarsitzung der WHA wurde das gleiche Komitee am 1. Juni gegen 19.30 Uhr kurzfristig einberufen. Dieses Mal wurde kein Quorum festgestellt wie am 30. Mai, vielmehr erfolgte eine «Zustimmung im Konsens»:
Der Vorsitzende:
«[…] In Anbetracht des Zeitdrucks schlage ich vor, die zwei verbleibenden Traktanden dem Plenum zu übertragen. Ist das für das Komitee akzeptabel? Ich höre ein ‹JA› und keine Einwände. Da es keine Einwände gibt, ist es hiermit so entschieden. […]»2
Kurze Zeit später, ca. um 21.07 Uhr, erfolgte die Verabschiedung der gesamten IGV-Revision im WHA-Plenum wiederum ohne Feststellung des Quorums im sogenannten Konsens wie folgt:
Der Vorsitzende:
«Ist die Versammlung jetzt bereit, die Resolution wie vorgelesen anzunehmen? Ich sehe keinen Widerspruch; die Resolution einschliesslich der Anpassungen im Dokument A77/A/CONF./14 ist angenommen.»3
Abstimmung im sogenannten Konsens ist in den Verfahrensregeln der WHO gar nicht vorgesehen.
Jürg Vollenweider fand für dieses Vorgehen deutliche Worte: Es widerspreche nicht nur klar den eigenen WHO-Verfahrensregeln, sondern sei unvereinbar mit dem in der Schweiz herrschenden Demokratieverständnis und mit dem «Ordre public».
Überhaupt sei es eine jedem gesunden Demokratieempfinden widersprechende unwürdige Farce!
Wird auch der Bundesrat Rechtsbruch begehen?
Ohne Intervention und Ablehnung gesetzwidrig zustande gekommener IGV-Änderungen breche auch jeder Vertragsstaat Völkerrecht und innerstaatlich gültiges Gesetzesrecht, so der Referent. Eine Aussage, die dem Bundesrat zu denken geben muss. Er hat die Chance – oder besser die Pflicht, will er nicht selbst einen Rechtsbruch begehen – die Anpassungen der IGV bis spätestens am 19. Juli 2025 zurückzuweisen.
Gemäss dem Referenten kann aber nur «Druck von unten» den Bundesrat zu einem «opting-out», also zu einer Ablehnung bewegen.
Am 13. November 2024 hat der Bundesrat eine Vernehmlassung zu den IGV eröffnet.4 Viele Organisationen werden sich kritisch dazu äussern, auch ist jede Bürgerin, jeder Bürger dazu eingeladen. Die Frist der Vernehmlassung endet am 27. Februar 2025.
Das «Aktionsbündnis freie Schweiz», bei dem Jürg Vollenweider als juristischer Berater tätig ist, hat eine Petition mit dem Namen «Schweizweite Aktion für ein Opting-out IGV» gestartet. Ihr Motto: «Wir handeln. Handeln auch Sie!»5
* Die erläuternden Folien des Vortrags von Jürg Vollenweider sowie eine Synopsis der vier zeitlich aufeinander folgenden Varianten der IGV, inkl. den seit dem 1. Juni 2024 vorliegenden, sind hier im PDF aufzurufen: Frist ist Frist: |
1 https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1956/1120_1198_1210/de
2 https://www.who.int/about/governance/world-health-assembly/seventy-seventh (anklicken rechts: WHA77 – Committee A)
3 Plenarsitzung vom 01.06.2024, ca. 21:07; Offizielle Video-Aufzeichnung: WHA77 Plenary, 9th Plenary Meeting 01/06/2024 – 20:55-22:50: https://www.who.int/about/governance/world-health-assembly/seventy-seventh (ab Zeitmarke 12:50)