Der digitale Dorfladen

Im gemeindeeigenen Haus zu günstigen Konditionen eingemietet: der
Dorfladen von Cerniat in der freiburgischen Gemeinde Val-de-Charmey.
(Bild Yannik Andrea)

von Max Hugelshofer, Schweizer Berghilfe

(25. April 2021) Was tun, wenn der Dorfladen schliesst, weil die Umsatzzahlen zu niedrig und die Personalkosten zu hoch sind? Dann wagt man den Schritt in die Zukunft. Im Dörfchen Cerniat ist der «Val-Marché» neu 24 Stunden geöffnet – mit Selbstbedienung und Zutritt per QR-Code.

Jean-François Rime hält seine Kundenkarte vor die Linse, und mit einem leisen Klicken entriegelt sich die Tür zum «Val-Marché». Er tritt ein, nimmt sich einen der bereitliegenden Körbe und macht sich an den Einkauf. Sonst ist niemand im Laden, schliesslich ist es Sonntagmorgen um 7 Uhr. Ganz alleine ist er beim Einkaufen aber dennoch nicht. Mehrere Kameras zeichnen alles auf, was im Laden passiert. Bald ist der Korb voll, und Jean-François Rime geht zur Kasse. Er scannt seine Produkte und wählt auf dem Touchscreen die Option «Monatsrechnung» – fertig.

Natürlich wäre auch eine Bezahlung per Karte möglich. Oder per Twint. «Wir bieten alles an, was heutzutage Stand der Technik ist», sagt Guy Maradan. Der pensionierte Bankangestellte ist geistiger Vater des digitalen Dorfladens. Träger ist die «Coopérative Concordia». Als im 350 Einwohner zählenden Cerniat [Gemeinde Charmey FR] gleichzeitig das letzte Geschäft und die letzte Beiz vor der Schliessung standen, wollten das viele nicht einfach so hinnehmen und taten sich zur Genossenschaft zusammen. Diese zählt heute deutlich über 100 Mitglieder und hat das Restaurant «La Berra» wieder zum beliebten Treffpunkt gemacht.

Ein reichhaltiges Angebot an Produkten
des täglichen Bedarfs. (Bild Yannik Andrea)

Beim Dorfladen war es schwieriger. Die Umsätze waren zu niedrig, die Personalkosten zu hoch. «Was die Grossverteiler können, können wir doch schon lange», dachte sich Guy und fing an, sich über Self-Scanning-Systeme schlau zu machen.

Kasse bestellt selbst nach

Einen passenden Scanner zu finden stellte sich dann als das geringste Problem heraus. Sogar für das Zutrittssystem mit QR-Code gab es fixfertige Lösungen. Weil Guy aber auch bei der Lagerbewirtschaftung und dem Bestellwesen eine automatisierte Lösung wollte, wurde die Sache dann doch noch kompliziert. «Am schwierigsten war, die Software für den Warenbestand mit der Kasse zu verknüpfen.» Es hat eine Weile gedauert, aber es hat geklappt. Heute hat der Dorfladen rund um die Uhr geöffnet, und die einzigen zusätzlichen Kosten, die dabei anfallen, sind ein paar Franken für das Licht im Laden.

Beim Dorfladen war es schwieriger. Die Umsätze waren zu niedrig, die Personalkosten zu hoch. «Was die Grossverteiler können, können wir doch schon lange», dachte sich Guy und fing an, sich über Self-Scanning-Systeme schlau zu machen.

Eier sind eines der vielen lokalen und regionalen
Produkte des Dorfladens. (Bild Yannik Andrea)

Die meisten Kundinnen und Kunden schätzen die neue Flexibilität beim Einkaufen und kommen nach anfänglicher Skepsis auch gut mit der Technik zurecht. Wer sich gar nicht mit der neuen Art des Einkaufens anfreunden kann, wird jedoch auch nicht ausgeschlossen: Jeden Vormittag ist der Laden ein paar Stunden lang bedient – irgendwann müssen ja sowieso die Gestelle und Kühlvitrinen aufgefüllt werden. «Ganz soweit, dass wir dafür einen Roboter anschaffen, sind selbst wir noch nicht», lacht Guy.

Quelle: www.berghilfe.ch, Magazin von Januar 2021

Die Unterstützung

Das computergestütztes Kassen- und Zutrittsystem für den Dorfladen von Cerniat wird zwar langfristig die Kosten senken. Die anfängliche Investition war aber für die lokale Genossenschaft zu hoch. Die Berghilfe ermöglichte mit ihrer Unterstützung dieses innovative Projekt.

Seit 1943 setzt sich die Stiftung Schweizer Berghilfe für die Menschen in den Schweizer Bergen ein. Wir unterstützen Projekte, die Arbeitsplätze und Wertschöpfung im Berggebiet schaffen. Damit wirken wir der Abwanderung entgegen und sorgen dafür, dass die Bergregionen auch in Zukunft lebendig bleiben. Die Schweizer Berghilfe finanziert sich ausschliesslich durch Spenden. (info@berghilfe.ch, www.berghilfe.ch)

Die Genossenschaft stärkt die soziale Verbundenheit

von der Redaktion «Schweizer Standpunkt»

Beeindruckt vom obenstehenden Artikel aus dem «Berghilfe Magazin» besuchten Redaktionsmitglieder des «Schweizer Standpunkt» den digitalen Dorfladen in Cerniat in der freiburgischen Gemeinde Val-de-Charmey. Mitten im Dorf gelegen, bietet er Einwohnerinnen und Einwohnern sowie Feriengästen eine wertvolle Möglichkeit der Versorgung mit Artikeln des täglichen Bedarfs und die Gelegenheit für persönliche Begegnungen.

Guy Maradan, der geistige Vater des digitalen
Dorfladens, kennt alle Genossenschafts-
mitglieder und Kunden persönlich. (Bild JPV)

Guy Maradan, der Pionier des digitalen Dorfladens, führt uns durch die Räumlichkeiten, den sorgfältig eingerichteten Laden mit den 3000 verschiedenen Produkten sowie Lagerraum und «Informatikzentrale» im Untergeschoss. In Cerniat aufgewachsen, kennt er jede Einwohnerin und jeden Einwohner persönlich. Als der einzige Dorfladen im März 2020 schliessen musste, realisierte er sofort, dass das Dorf damit seine «Seele» verloren hatte. In seiner 30-jährigen Tätigkeit bei der Genossenschaftsbank Raiffeisen hatte er zudem erlebt, dass Immobilien in einer Ortschaft ohne Laden deutlich an Wert verlieren. Er sah Handlungsbedarf und machte sich daran, die Dorfbevölkerung für die Gründung einer Genossenschaft zu motivieren. Bereits am 20. Oktober 2020 wurde die «Coopérative Concordia» im Handelsregister eingetragen.

So wie die Menschen in Cerniat handeln weltweit immer mehr Menschen: zeigt sich ein Problem, das die ganze Gemeinschaft betrifft, kommen Eigeninitiative, Kreativität und Verantwortungsgefühl zum Tragen. Es muss nicht abgewartet werden, bis «von oben» eine Lösung des Problems vorgeschlagen wird. Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung sind die Grundpfeiler des «von unten» initiierten gemeinsamen Planens und Handelns in einer Genossenschaft.

Im Untergeschoss des Ladens befinden sich
das Warenlager und die «Informatik-Zentrale»
für Bewirtschaftung und Bestellwesen. (Bild JPV)

Das Jahr 2012 war von der UNO denn auch zum «Internationalen Jahr der Genossenschaften» erklärt worden. «Genossenschaften erinnern die internationale Gemeinschaft daran, dass es möglich ist, sowohl wirtschaftliche Rentabilität als auch soziale Verantwortung zu verwirklichen» sagte der damalige UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon.

Zurück zum Dorfladen in Cerniat: «Von den Genossenschaftern wird Wert darauf gelegt, lokale und regionale Produkte in die Angebotspalette aufzunehmen», erläutert Maradan. So findet der ehemalige Gemeindepräsident, der während unserem Besuch den Laden betritt und von unserem Gastgeber freundschaftlich begrüsst wird, frisches Brot einer beliebten Bäckerei aus dem benachbarten Charmey. «Beurre salé» (gesalzene Butter), «Soupe de chalet» (Freiburger Bergsuppe), Eier, Fleisch von drei regionalen Metzgern und nicht zuletzt der Kräuterlikör «Père Chartreux» können hier erworben werden.

In der nahegelegenen Kartause «La Valsainte»
lebt heute die einzige Gemeinschaft des
Kartäuserordens in der Schweiz. (Bild JPV)

Der lokale Bezug ist auch beim Kräuterlikör gegeben: ganz hinten im Tal Vallée du Javro liegt das weitläufige Kartäuserkloster La Valsainte, heute die einzige Gemeinschaft des Kartäuserordens in der Schweiz. Sie baut Kräuter an und liefert sie in das Mutterhaus in der Nähe von Grenoble, wo der Likör in verschiedenen Varianten hergestellt wird.

Ist der Laden auch perfekt digitalisiert und das ganze Jahr Tag und Nacht «geöffnet», sind einheimische Frauen oder Männer – bei unserem Besuch eine junge Studentin – jeweils von 7–12 Uhr anwesend um Bareinkäufe einzukassieren, sich mit den Kunden auszutauschen, Bestellungen aufzunehmen und die Gestelle aufzufüllen. So wird die soziale Verbundenheit im Dorf gestärkt – ein nicht zu unterschätzender Faktor für das Wohlbefinden gerade auch in Krisenzeiten wie der aktuellen Pandemie.

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