Ein Flugzeugträger im Zürichsee
Eine satirische Glosse zu Bundesrat Cassis' proklamierter «Neuausrichtung der Schweizer Neutralität»
(14. Juni 2024) (ks) Was habe ich denn da kürzlich Grossartiges gelesen! Unser flugbegeisterter SRF-Mann Urs W. hat einen Schweizer Militärpiloten filmisch dokumentiert, der auf einem US-amerikanischen Flugzeugträger das Starten und Landen mit einem
F-18-Kampfflugzeuge gelernt hat! Welch tolle Nachricht! Schade, ist dieser Pilot im Moment nur ein Einzelfall. Dieses Beispiel sollte unbedingt Schule machen. Ich bin überzeugt, unsere jungen Schweizer Militärpiloten wären aufgrund ihrer vorbildlichen Grundausbildung bestimmt fähig und auch sofort motiviert, dieses gravierende Manko ihres fliegerischen Könnens zu beheben, hätten wir dafür nur endlich ein grosszügig erhöhtes Militärbudget. Schon darum sollten wir der Nato baldmöglichst beitreten, damit die nötigen zusätzlichen Gelder für solch sinnvolle militärische Kompetenzerweiterungen endlich freigegeben werden können. Schliesslich rechtfertigt sich dies allein schon aus der Tatsache, dass es sich hierbei quasi um eine weitere neue Dienstleistung am Schweizer Volk handelt. Und jetzt verstehe ich auch endlich, wieso unsere Politiker bei der kürzlichen Militärflieger-Neuanschaffung in weiser Voraussicht nichts Anderes als unbedingt die teureren, dafür garantiert Nato-kompatiblen amerikanischen Kampfjets anschaffen wollten. Wen kümmert's denn, dass sich die Nato ganz offiziell vom Verteidigungsbündnis zum Angriffspakt gemausert hat? Hauptsache, unsere originalen Schweizer Kriegskämpfer – pardon, unsere neutral-unabhängig-patriotischen Missionshelden – wissen sich unter Nato-Kommando im gemeinsamen Kampfangriff – pardon, im Friedenseinsatz als Demokratiebringer – in den Fussstapfen von ausländischen schlagkräftigen Truppen – pardon, natürlich gleichwertig an der Seite von befreundeten Partnern.
Ich meine, zwar könnten wir uns als eines der reichsten Länder der Welt gewiss locker auch einen eigenen Flugzeugträger leisten, trotzdem wir als Binnenland eigentlich weit und breit keinen Meeranstoss haben. Aber ehrlich gesagt, wir würden uns ja lächerlich machen, wenn wir so ein Riesending in den Neuenburger- oder etwa in den Zürichsee setzen würden. Es könnte kaum wenden, der See würde wegen der immensen Wasserverdrängung überlaufen, das Wasser rundherum über die Ufer treten, die St. Peters-Insel im gestiegenen Wasser untergehen… Nein, es wäre schon gut, wenn das die ganze Schweizer Air-Force beim allzeit verlässlichen und langjährigen Freund USA lernen würde. Wir wollen doch realistisch bleiben.
Es ist wahr und richtig und kann nicht bestritten werden: In der heutigen feindlichen Welt muss man schliesslich auf alles gefasst und gegen möglichst alles gewappnet sein. Aber viel wichtiger als nur beherzte, gute Militär-Flugpiloten zu haben ist es, einen so visionären Politiker wie unseren Bundesrat Cassis an der Regierungsspitze zu wissen, der es kürzlich mit seiner mutigen Aussage unmissverständlich deutlich zum Ausdruck und überhaupt auf den Punkt gebracht hat: Wir Schweizer müssen unsere Neutralität grundlegend neu ausrichten! – Keine Angst, das ist komplett fern des deutschen Verteidigungsministers Pistorius, der ultimativ die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht aller Bürger in seinem Land und die Wiederherstellung der deutschen Kriegstüchtigkeit verlangt hat. Nein, bei uns ist das sowas von anders, wir Schweizer sind schliesslich neutral und wollen es auch bleiben. Aber, und das muss ich schon zu bedenken geben, wir dürfen gleichwohl nicht länger wegschauen und müssen unsere militärischen Grundlagen und Kompetenzen grundlegend modernisieren – das heisst in der Konsequenz ergänzen, also ausweiten und komplettieren. Und wenn man dann mal genauer hinschaut, gibt es in der Tat diverse Fähigkeiten und verschiedene Bereiche, in denen das militärische Kampfpotential der Schweizer Armee dringend überholbedürftig ist. Die leidige Krux dabei: Um fit und up-to-date zu werden, lässt sich einiges davon bei allem guten Willen leider nicht innerhalb unserer engen Landesgrenzen umsetzen, wie das Beispiel unseres eingangs erwähnten Flugpioniers eindrücklich zeigt. Das ist aber nur der eine Punkt, der überwunden werden muss.
Als zweiten Punkt ist es mir ganz besonders wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir bei allem unserem internationalen Tun irgendwo in der Welt ganz genau darauf achten müssen, dass unsere Neutralität nicht verletzt wird und vollumfänglich erhalten bleibt.
Neutral sein heisst, nicht einseitig sein, auf keine Seite Berührungsängste haben und ausgewogen bleiben, was last but not least nur bedeuten kann, keinesfalls einseitig Partei ergreifen, also auch nicht irgendwelche Seiten unverhältnismässig bevorzugen oder wertschätzen oder sonst wie bevorteilen. So etwas wäre einfach nur ungeschickt und undiplomatisch, um nicht zu sagen dilettantisch oder gar kontraproduktiv. Und an die Adresse aller Kritiker sei im Voraus gesagt: Das hat nichts, aber auch gar nichts mit allseitigem Rechtmachen zu tun! Die Bürgenstock-Friedenskonferenz beweist als beste aller Visitenkarten unsere Schweizer Durch-und-durch-Friedfertigkeit, und dieses Signal, das wir in alle Welt aussenden, ist unzweifelhaft eindeutig und sowas von klar – auch wenn ich persönlich vielleicht etwas kleinmütig, ehrlich gesagt, dieser gutgemeinten Zusammenkunft wegen der mir völlig unverständlichen Absenz zahlreicher eingeladener Staaten mit grossem Bedauern leider keine grossen Erfolgschancen mehr einräumen kann. Allein aber schon die aufgewendeten vielen Millionenbeträge zur Vorbereitung, Durchführung und Sicherung dieses einmaligen, weltweit ausstrahlenden und global bedeutenden Anlasses im Zentrum der Schweiz haben sich doch nur schon bezüglich Schweizer Image- und Neutralitätspflege bezahlt gemacht und unbedingt gelohnt.
Also: Schon um entsprechenden Vorwürfen zuvorzukommen, scheint es mir zweitens prioritär wichtig, dass wir uns als durch und durch neutrale Schweizer mit Bedacht und Ausgewogenheit nach allen Seiten orientieren und uns nicht zuletzt dadurch buchstäblich für alle Fälle rüsten und wappnen.
Hier denn nun meine Vorschläge, (die sich durch weit kompetentere Politiker und beratende Experten bestimmt jederzeit zahlreich vermehren lassen):
Unsere Truppen haben keine Ahnung von einem möglichen Kampfverhalten in den endlosen Wasserlandschaften eines Mekong-Deltas, in tropischen Mangrovensümpfen oder Regenurwäldern etwa des Amazonas – ganz abgesehen mal von der völlig fehlenden passenden Ausrüstung. Und nur nebenbei, à propos fehlender Ausrüstung, sei bemerkt: Eine Drohnenbrigade als neuer Truppenteil der Armee müsste ebenso Standard werden wie längerfristig ein eigenes effizientes Atomraketen-Abwehrsystem. Zum Glück hat unsere tüchtige Militärministerin Amherd diese Entwicklung und diesen Weg mit ihrem beabsichtigten Beitritt zum europäischen Nato-Schutzschild Sky Shield bereits kräftig vorgespurt.
Meines bescheidenen Erachtens müssen Fallschirmabsprünge etwa bei den Inuit in arktischen oder auch antarktischen Regionen aus grossen Höhen neu ein- und regelmässig durchgeführt werden, so dass unsere tapferen Soldaten auch unter Extrembedingungen sicher landen lernen und nicht als hartgefrorene Eiszapfen auf dem Boden beziehungsweise auf dem Eis aufknallen müssen. Ebenso sollten etwa Notfalleinsätze in den Grenzregionen zwischen der Erdatmosphäre und dem definitiven Weltall künftig geübt werden. Ein richtiges Panzerdefilee und überhaupt eine anständige und beeindruckende Militärparade anstelle unserer bisherigen marginalen und eher touristischen Flugschaus lernen wir wohl am besten bei den Russen, den Nordkoreanern oder bei den Chinesen. Geradezu vollständig fehlen uns überlebenswichtige Erfahrungen bezüglich einer erfolgreichen Guerilla-Kampftaktik. Und wer denn nur könnte uns das dank eines bewährten unterirdischen Gänge-Labyrinths besser beibringen als die Hamas in Nahost?
Ich meine, unsere Hochgebirgs-Kavernen in den Felsen sind leider schon rettungslos veraltet, teils sogar zu Museen umfunktioniert, zudem auf Rückzug ausgerichtet und deshalb völlig ungeeignet. Nicht vergessen gehen dürfen wiederholte Survival-Trainings in der Sahara oder noch besser in der weltweit heissesten Wüste im Iran. Wer weiss schon, ob wir unsere urdemokratischen europäischen Grundwerte oder auch nur schon unseren Schweizer Frieden dereinst vielleicht plötzlich mal in der Wüste Gobi verteidigen müssen? Jedenfalls leuchtet doch jedem vernünftigen Geist ein, dass wir uns angesichts unserer heutigen hochtechnisierten Welt klugerweise für alles, was möglich ist, wappnen und vorbereiten sollten – zu unserem eigenen Schutz und für eine sichere Zukunft unserer Kinder.
Also, packen wir es an und aktualisieren wir unsere verkrustete, in die Jahre gekommene Neutralität; richten wir sie wirklich und substanziell neu aus und machen endlich moderne Nägel mit Köpfen! Nur so können wir als Kleinstaat unseren Landesfrieden wirkungsvoll und überall verteidigen, nur so werden wir fähig, unseren Partnern und Freunden in der Welt falls nötig tapfer an deren Seiten zu stehen, und nur so werden wir letztlich in der Welt ernst genommen, geachtet und respektiert. Und darum geht es doch schliesslich, so absurd alles tönen mag, oder nicht? Und wenn wir mal alle untergehen sollten, dann wenigstens mit wehenden Fahnen – oder nicht?