Für den Erhalt der föderalistischen Staats- und Gesellschaftsform der Schweiz
Die Weichen für eine menschengerechte Zukunft stellen
von Hans Bieri,* Zürich
(26. Dezember 2025) (CH-S) Die Schweiz droht mit den geplanten EU-Verträgen zu einer «Agglomeration» der Europäischen Union zu verkommen. Auch von anderen Seiten gerät unser Land zunehmend unter Druck. Das über Jahrhunderte von den Bewohnern aufgebaute filigrane bürgernahe politische System «Schweiz» riskiert von einer kurzsichtigen Politiker- und Wirtschafts«elite» verspielt zu werden.
www.neutralitaet-ja.ch)
Hans Bieri, Geschäftsführer der «Schweizerische Vereinigung Industrie und Landwirtschaft» (SVIL), hält dagegen und liefert uns hier eine vernetzt und umfassende Sicht der aktuellen Situation unseres Landes im europäischen Umfeld.
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Die Herausforderungen
Die Schweiz wird unter Druck gesetzt, einen Teil ihrer Souveränität an die EU abzutreten, die Schweiz soll Produktion und Geldvermögen in die USA verlagern, die Schweiz soll ihre Neutralität preisgeben und dem Kriegsbündnis der Nato beitreten.
Zudem wird die Neutralität der Schweiz von Seiten der USA und der EU für obsolet erklärt. Der Ukrainekonflikt wird von den Ursachen getrennt und dadurch der Diplomatie und der neutralen Position der Boden entzogen. Ausgelöst durch den geopolitischen Wandel und globalen Machtverlust der bisherigen westlichen Suprematie wird aktuell Rückzug und Konzentration auf kontinentale Machtzentren und deren kompakten Ausbau eingeleitet. Das ist das, was die Schweiz zu spüren bekommt. Ebenso drohen die Errungenschaften der europäischen Aufklärung dem Technofeudalismus zum Opfer zu fallen.
Die Schweiz – EU – Europa
Die anstehenden Verträge der Schweiz mit der EU bringen dies durch den unmissverständlichen Übergriff auf die politische Freiheit der Schweiz zum Ausdruck.
Bis anhin galt: Güter und Dienstleistungen überschreiten gemäss der internationalen Arbeitsteilung die Staatsgrenzen in regem Verkehr. Die Hoheitsgebiete, deren Grenzen überschritten werden, bleiben dagegen «statisch» und bilden die Staatsordnung. Der Staat erlässt Regeln, die in seinem Territorium gelten. Sollen diese jedoch auch in einem fremden Staatsgebiet gelten, können – wie bisher – die Staaten das gegenseitig frei vereinbaren.
In den Verträgen Schweiz–EU wird jedoch einseitig die Übernahme von Regelungen der EU auf dem Territorium der Schweiz vereinbart. Vom Rechtsetzungsprozess in der EU bleibt die Schweiz ausgeschlossen. Das ist die klare Absicht der EU, ihr Territorium zusammen mit der Nato auch militärisch kompakt durchzugestalten. Folglich müsste die Schweiz ihr über Jahrhunderte aufgebautes politisches Erbe und ihre politischen Errungenschaften preisgeben und sich wieder dem «Reich» anschliessen. Auch im Verhältnis der Schweiz mit den USA wird die Freiheit des Handels extraterritorial zunehmend mit Vorschriften durch den Marktmächtigeren eingeschränkt, kontrolliert (Banken) und open end (Pharma) bestimmt.
Begründet wurden diese politischen und kulturellen Einschränkungen bisher mit dem daraus erhofften wirtschaftlichen Wachstumsimpuls zu Gunsten der Schweizer Exportwirtschaft in ihren wichtigen Absatzmärkten in der EU und den USA.
Was jedoch durch den Ausbau der institutionellen Bindungen der Schweiz an die EU als Effizienzgewinn erhofft wird, geht andererseits durch die gigantischen heutigen und künftigen Regulationsfolgekosten für die Schweiz, vor allem aber durch die Ausräumung unserer direkten Demokratie wieder verloren. Die feinmaschige Siedlungsstruktur der Schweiz kann ebenso nicht zu einem City-State beziehungsweise einer Metropolitanregion erweitert und umgebaut werden.
Diejenigen, die in der Entwicklung der Schweiz zum City-State ihr Geld verdienen, übersehen, dass Immobilienpreise lediglich eine Rente sind, die von der Wertschöpfung der Realwirtschaft lebt. Die Subprimekrise der USA in den Nuller-Jahren hat anschaulich gezeigt, wie dieses «perpetuum mobile immobilium» in die Krise führt. «Singapur», Überschichtungen von oben (Expats) und die Unterschichtung in die sozialen Netzwerke andererseits zeichnen sich ab.
Inzwischen haben sich die Konflikte an allen Fronten weiter verschärft. Und es stellt sich die Frage: Warum ist in der EU nicht eine wirtschaftliche Entwicklung ohne territoriale Expansion möglich, wie das die Geschichte der Schweiz zeigt? Diese gesellschaftspolitische Frage ist alles andere als neu und wurde in der Schweiz und im aufgeklärten Europa bislang immer wieder diskutiert und geklärt. Hier nur ein Exempel, welches Diskussionsniveau wir einst hatten:
«Zu einem menschengerechten Gemeinwesen gehört auch eine moderne Gestaltung des Föderalismus. Denn man kann ja zeigen, dass richtig verstandene Demokratie und echter Föderalismus grössere Entfaltungsmöglichkeiten für den Einzelnen garantieren als die Demokratie im Einheitsstaat. Die demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger sind im Bundesstaat bedeutender als im Einheitsstaat: In den engeren Rechtsgemeinschaften der Glieder kann das ihnen angepasste besondere Recht verwirklicht werden. Mit dem Erfordernis doppelter Mehrheiten, nämlich demokratischer und föderativer, beim Erlass vom Bundesrecht entsteht im Bunde gleichzeitig die grössere Mitwirkungsmöglichkeit der Bürger.»1
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Und heute?
Die vorliegenden Verträge mit der EU, die Abstimmung über die eidgenössische Volksinitiative «Wahrung der schweizerischen Neutralität», die 10 Millionen-Schweiz und das Zuwanderungsproblem, die Ernährungs- und Versorgungssicherheit der Agrarpolitik 2030 und der Vorsitz der Schweiz in der OSZE sind die Hauptthemen des kommenden Jahres!
Die neutrale Schweiz kann nicht einen Vertrag mit der EU eingehen, der zur institutionellen und territorialen Einbindung der Schweiz in das Territorium der EU führt! In diesem Sinne ist unter anderem auch die Agrarpolitik 2030 wieder aus der Anlehnung an Brüssel herauszulösen.
Die Schweiz darf ihre geschichtlichen Errungenschaften der föderalistischen Staats- und Gesellschaftsform mit Blick auf die Zukunft nicht preisgeben!
Die mit dem Ukrainekrieg vorangetriebene Blockbildung zum zentralistischen europäischen Einheitsstaat zerstört die Vielfalt Europas. Was für die Schweiz zur existentiellen Frage wird, gilt auch für Europa. Das muss die Botschaft der Schweiz an die OSZE sein, welche die Schweiz 2026 präsidiert. Die Schweiz muss – politisch und personell geläutert aus den aktuellen Kontakten mit der EU und den USA – ihre Errungenschaften und ihre Kräfte mobilisieren, in der OSZE aus neutraler Position die Denk- und Gesprächsblockaden aufheben und der Diplomatie zur Konfliktlösung in Europa zum Durchbruch verhelfen.
Wie wollen wir unsere «Ernährung» bzw. unsere Existenz sichern, wenn wir nicht alles darauf verwenden, diesen Krieg zu beenden und dessen wirkliche Ursachen endlich zu lösen?!
| * Hans Bieri, geboren 1945, Dipl. Arch. ETHZ mit Spezialgebiet Raumplanung, ist Geschäftsführer und Vorsitzender der «Schweizerischen Vereinigung Industrie und Landwirtschaft» SVIL. |
Quelle: Mitgliederbrief 2025: https://svil.ch/SVIL%202025%20Mitgliederbrief%2021Nov2025%20Kopie.pdf, 21. November 2025
1 Martin Usteri. Die Funktion der Regierung im modernen föderalistischen Staat. Wien 1977.