Volksabstimmung vom 13. Juni 2021

Gedanken zu den zwei Agrar-Initiativen

«Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» und
«Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung»

von Esther und Felix Bürge

(21 Mai 2021) Der Druck auf unsere Landwirte nimmt seit geraumer Zeit zu. Umwelt- und Tierschutzauflagen werden stetig nach oben „angepasst“. Gleichzeitig werden aber die Produktionspreise nach unten gedrückt, und die Bauern erhalten immer weniger Lohn für ihre so wertvolle Arbeit, die Bevölkerung mit gesunden Nahrungsmitteln zu versorgen.

Die bäuerliche Welt hat sich stark verändert: 1955 waren noch 19 % der Schweizer Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig; 2005 waren es nur noch 2 %. Leider sind unter den heutigen Bedingungen fortlaufend weitere Bauernhöfe und Landwirtschaftsflächen in Gefahr oder müssen aufgegeben werden.

«Eidgenössische Volksinitiative»

red. Für unsere Leserinnen und Leser aus dem nahen und fernen Ausland findet sich hier ein knapper Hinweis zum besseren Verständnis des direktdemokratischen Instrumentes der Schweizer «Volksinitiative».

In kaum einem anderen Land hat das Volk so viele Mitbestimmungsrechte wie in der Schweiz. Bis zu viermal pro Jahr entscheiden die Stimmberechtigten über politische Sachfragen.

Stimmbürgerinnen und Stimmbürger können eine Volksinitiative unterzeichnen oder selber lancieren und damit eine Änderung der Bundesverfassung verlangen. Damit eine Volksinitiative zustande kommt, braucht es 100 000 gültige Unterschriften. Diese müssen innerhalb von 18 Monaten gesammelt werden.

Aktuell wird in der Schweiz über fünf Vorlagen intensiv diskutiert, unter anderem über die beiden Volksinitiativen zum «Trinkwasserschutz» und «Pestizideinsatz».1 Jede Schweizerin und jeder Schweizer kann diesen Vorlagen bis zum 13. Juni zustimmen oder sie ablehnen.

Über jede Änderung der Verfassung wird abgestimmt (obligatorisches Referendum): Egal, ob die Änderung vom Parlament beschlossen wurde oder von einer Volksinitiative gefordert wird. Der neue Verfassungsartikel tritt nur in Kraft, wenn die Mehrheit der Stimmenden (Volksmehr) und der 26 Kantone (Ständemehr) sich dafür ausspricht (doppeltes Mehr).

Auch wenn viele Initiativen nicht angenommen werden, haben sie eine grosse Wirkung: Sie führen zu öffentlichen Diskussionen über ein bestimmtes Thema und nehmen so Einfluss auf das Bewusstsein zu einem Problembereich. Manchmal machen Bundesrat (Regierung) und Parlament zu einer Initiative einen Gegenvorschlag, der das Anliegen der Initiative aufgreift.2

1 Vgl. Esther und Felix Bürge, «Gedanken zu den zwei Agrar-Initiativen» sowie
Anne Challandes, «Das primäre Ziel der Landwirtschaft ist, ausreichend und optimal Nahrung bereitzustellen». Beide Artikel finden Sie auf www.schweizer-standpunkt.ch.

2 Aus «Der Bund kurz erklärt». https://www.bk.admin.ch/bk/de/home/dokumentation/der-bund-kurz-erklaert.html

Was fordern die beiden Volksinitiativen?

Die Initiative fokussiert auf die Schweizer Landwirte als alleinige
Problemverursacher und bestraft auch Biobetriebe, welche auf den
Zukauf von Futtermitteln angewiesen sind. (Bild mt)

1. «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide»

Diese Initiative will den Einsatz synthetischer Pestizide landesweit verbieten. Dieses Verbot würde sowohl private Gärten und Gärtnereien, konventionelle landwirtschaftliche Betriebe als auch die biologische Landwirtschaft betreffen, denn auch dort müssen zum Schutz der Kulturen teilweise synthetisch hergestellte «Bio-Pestizide» (z.B. Kupferprodukte) eingesetzt werden. Kupfer ist auch für die Biolandwirtschaft ein wirksames Pflanzenschutzmittel gegen Pilzkrankheiten. Ein Verzicht auf das Fungizid Kupfer würde vor allem im Bio-Weinbau zu massiven Ertragseinbussen führen, wie auch bei Kartoffelpflanzungen und im Obstbau.

Ebenso würde ein Verbot die Verarbeitungsbetriebe der landwirtschaftlichen Erzeugnisse betreffen (z.B. den Einsatz von Bioziden als Desinfektionsmittel) oder etwa die Boden- und Landschaftspflege, und darüber hinaus auch den Import von Lebensmitteln, welche ebenfalls synthetische Pestizide enthalten.

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:

Art. 74 Abs. 2bis

2bis Der Einsatz synthetischer Pestizide in der landwirtschaftlichen Produktion, in der Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und in der Boden- und Landschaftspflege ist verboten. Die Einfuhr zu gewerblichen Zwecken von Lebensmitteln, die synthetische Pestizide enthalten oder mithilfe solcher hergestellt worden sind, ist verboten.

Art. 197 Ziff. 122

12. Übergangsbestimmungen zu Art. 74 Abs. 2bis

1 Die Ausführungsgesetzgebung zu Artikel 74 Absatz 2bis tritt spätestens zehn Jahre nach deren Annahme durch Volk und Stände in Kraft.

2 Der Bundesrat erlässt vorübergehend auf dem Verordnungsweg die notwendigen Ausführungsbestimmungen und achtet dabei auf eine schrittweise Umsetzung von Artikel 74 Absatz 2bis.

3 Solange Artikel 74 Absatz 2bis nicht vollständig umgesetzt ist, darf der Bundesrat vorübergehend unverarbeitete Lebensmittel, die synthetische Pestizide enthalten oder mithilfe solcher hergestellt worden sind, nur dann bewilligen, wenn sie zur Abwehr einer gravierenden Bedrohung von Mensch oder Natur unverzichtbar sind, namentlich einer schweren Mangellage oder einer ausserordentlichen Bedrohung von Landwirtschaft, Natur oder Mensch.

Bedenken und Folgen

Alle Parteien sowie Politik und Landwirtschaft sind sich einig, dass der Erhalt der Böden und der darauf wachsenden Pflanzen für eine nachhaltige Ernährung von zentraler Bedeutung sind. Gleichzeitig gilt es zu bedenken, dass für den Erhalt eines vernünftigen und krisensicheren Selbstversorgungsgrades der Schweiz auch eine der Bevölkerungszahl entsprechende Nahrungsmittelmenge produziert werden muss. Pflanzkulturen sind dem Wetter und verschiedenen Schädlingen (Pilze, Sporen, Milben etc.) ausgesetzt. Das Bewusstsein, dass zu deren Bekämpfung möglichst wenig und umweltverträgliche Mittel eingesetzt werden sollen, ist schon lange da. Der Verbrauch von chemischen Mitteln konnte in den letzten 10 Jahren um 40 % gesenkt werden. Die Forschung in diese Richtung läuft intensiv. Der «Aktionsplan Pflanzenschutz des Bundes» und der «Absenkpfad für Risiken von Pflanzenschutzmitteln» sind aufgegleist.

In diesem Sinne ist die Initiative mit ihren unrealistischen Forderungen nach einem totalen Pestizidverbot zu wenig durchdacht, wird der komplexen Problematik nicht gerecht und würde die jetzigen Bemühungen in der Landwirtschaft torpedieren.

2. «Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung»

Diese Initiative will den Erhalt von Direktzahlungen des Bundes an mehrere neue Regeln knüpfen: Landwirtschaftsbetriebe sollen völlig auf synthetische Pestizide verzichten, ohne vorbeugenden oder regelmässigen Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung auskommen und ihren Tierbestand zu 100 % mit Futter ernähren können, das auf dem eigenen Hof produziert werden kann.

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:

Art. 104 Abs. 1 Bst. a, 3 Bst. a, e und g sowie 4

1 Der Bund sorgt dafür, dass die Landwirtschaft durch eine nachhaltige und auf den Markt ausgerichtete Produktion einen wesentlichen Beitrag leistet zur:

a. sicheren Versorgung der Bevölkerung mit gesunden Lebensmitteln und sauberem Trinkwasser;

3 Er richtet die Massnahmen so aus, dass die Landwirtschaft ihre multifunktionalen Aufgaben erfüllt. Er hat insbesondere folgende Befugnisse und Aufgaben:

a. Er ergänzt das bäuerliche Einkommen durch Direktzahlungen zur Erzielung eines angemessenen Entgelts für die erbrachten Leistungen, unter der Voraussetzung eines ökologischen Leistungsnachweises, der die Erhaltung der Biodiversität, eine pestizidfreie Produktion und einen Tierbestand, der mit dem auf dem Betrieb produzierten Futter ernährt werden kann, umfasst.

e. Er kann die landwirtschaftliche Forschung, Beratung und Ausbildung fördern und Investitionshilfen leisten, sofern damit die Landwirtschaft im Hinblick auf die Buchstaben a und g sowie auf Absatz 1 unterstützt wird.

g. Er schliesst Landwirtschaftsbetriebe von Direktzahlungen aus, die Antibiotika in der Tierhaltung prophylaktisch einsetzen oder deren Produktionssystem einen regelmässigen Einsatz von Antibiotika nötig macht.

4 Er setzt dafür zweckgebundene Mittel aus dem Bereich der Landwirtschaft und allgemeine Bundesmittel ein, überwacht den Vollzug der Vorschriften sowie die erzielten Wirkungen und informiert die Öffentlichkeit regelmässig über die Ergebnisse dieser Überwachung.

Art. 197 Ziff. 12
12. Übergangsbestimmung zu Art. 104 Abs. 1 Bst. a, 3 Bst. a, e und g sowie 4

Nach Annahme von Artikel 104 Absätze 1 Buchstabe a, 3 Buchstaben a, e und g sowie 4 durch Volk und Stände gilt eine Übergangsfrist von acht Jahren.

Bedenken und Folgen

Bundesrat Guy Parmelin, selber Landwirt, sagt dazu: «Das Schweizer Trinkwasser ist bereits heute gut geschützt, nur so können wir das Wasser sorglos trinken.», und: «Eine Studie von Agroscope (Landwirtschaftliche Forschungsanstalt des Bundes) hat zudem gezeigt, dass bei einer Annahme der Trinkwasser-Initiative 9 bis 20 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe von den Direktzahlungen ausgeschlossen würden. Dies kann nicht in Kauf genommen werden.»

Die Initiative fokussiert auf die Schweizer Landwirte als alleinige Problemverursacher und bestraft auch Biobetriebe, welche auf den Zukauf von Futtermitteln angewiesen sind. Diese würden überdies von Direktzahlungen ausgeschlossen bei Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auf Kupferbasis.

Nicht betroffen von dieser Initiative wären jedoch sämtliche Importe von Lebensmitteln!

Von der mangelnden Sachkenntnis der Initianten zeugt auch die Forderung bezüglich prophylaktischem Antibiotikaeinsatz. Dieser ist schon seit 1999 verboten; damit übernahm die Schweiz nebst Schweden eine Pionierrolle. Ohne tierärztliche Verschreibung dürfen bei Nutztieren keine Antibiotika eingesetzt werden.

Wie wenig durchdacht die beiden Initiativen sind, zeigt sich auch bezüglich der zu erwartenden Auswirkungen am Beispiel der wichtigen Schweizer Alpwirtschaft. Das Sömmerungsgebiet macht rund einen Drittel der landwirtschaftlich genutzten Flächen der Schweiz aus. Viele Tiere nutzen dieses natürliche Grasland während des Sommers.

Obwohl die Alpwirtschaft eine der naturnahesten Produktionsformen ist, müsste ein grosser Teil der Sömmerungsbetriebe bei Annahme der Trinkwasser- und Pestizidinitiative die Bewirtschaftung aufgeben, erklärt der Schweizerische Alpwirtschaftliche Verband (SAV): «Die Initiativen sind zwar gut gemeint, haben aber aufgrund von mangelnden Kenntnissen der Initianten gefährliche, ungewollte Auswirkungen.»

Die Trinkwasserinitiative erlaubt nur betriebseigenes Futter – diese Vorgabe nimmt keine Rücksicht auf jährliche Schwankungen bei der Futterproduktion. Bei starker Trockenheit oder Schneefall kann es auch auf der Alp nötig sein, zusätzliches Fremdfutter einzukaufen, um Mangelerscheinungen bei den Tieren zu vermeiden. Dies würde jedoch zum Wegfall von existenziell wichtigen Direktzahlungen führen.

Mit der Trinkwasserinitiative wird die Schweizer Landwirtschaft so stark eingeschränkt, dass der Tierbestand in der Berglandschaft massiv abnehmen würde, dass weniger Tiere gesömmert und Alpwirtschaften aufgegeben werden müssten. Die Folgen einer Bergwelt ohne diese Sömmerungsbetriebe wären vor allem eine rasche Verbuschung des Alpenraumes durch die Grün-Erle, eine Abnahme der Biodiversität und eine Reduktion der Selbstversorgung.

Die dargelegten Argumente und Beispiele legen nahe, dass die beiden Initiativen nicht zu einer vernünftigen Landwirtschaftsentwicklung führen und zu einer Schwächung unserer Ernährungssouveränität beitragen.

Beide Initiativen sind an der Volksabstimmung vom 13. Juni 2021 abzulehnen.

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