Eidgenössische Abstimmung vom 9. Juni 2024

«Kostenbremse» führt zur Unterversorgung von Patientinnen und Patienten

NEIN zu einer konjunkturabhängigen Krankenversorgung

von Dr. med. Sabine Vuilleumier-Koch*

(24. Mai 2024) Die Volksinitiative «Für tiefere Prämien – Kostenbremse im Gesundheitswesen (Kostenbremse-Initiative)» will Kantone, Krankenkassenverbände, Ärztinnen und Ärzte, Spitäler, Apotheken, Laboratorien und Pflegeheime dazu verpflichten, Massnahmen zur Kostendämpfung zu ergreifen. Die Kosten sollen nicht viel stärker steigen, als die durchschnittlichen Löhne und die Gesamtwirtschaft wachsen. Ein Ansatz zur Kostendämpfung, der zu einer Verschlechterung der Gesundheitsversorgung und einer massiven Zunahme der Bürokratie führt.

Die Mitte-Partei – zum Zeitpunkt der Einreichung der Initiative im März 2020 noch Christliche Volkspartei (CVP) – will auf die Akteure im Gesundheitswesen mit ihrer Initiative eine disziplinierende Wirkung ausüben. Diese sollten endlich Verantwortung für die «Kostenexplosion» übernehmen. Welche Massnahmen konkret ergriffen werden sollen, lässt sie offen.

Änderungsvorschlag der «Kostenbremse-Initiative»

Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 117 Abs. 3 und 4
3 Er [der Bund] regelt in Zusammenarbeit mit den Kantonen, den Krankversicherern und den Leistungserbringern die Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflege­versicherung so, dass sich mit wirksamen Anreizen die Kosten entsprechend der schweizerischen Gesamtwirtschaft und den durchschnittlichen Löhnen entwickeln. Er führt dazu eine Kostenbremse ein.
4 Das Gesetz regelt die Einzelheiten.

Einschränkung der Leistungen

Die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte FMH sieht in der «Kostenbremse-Initiative» einen zentralen Denkfehler: die Kopplung der Gesundheitskosten an die Wirtschaftsentwicklung. Gerade, als die Initiative eingereicht worden sei, sei die Wirtschaft im Land wegen dem Beginn der Corona-Pandemie zurück gegangen, und gleichzeitig habe niemand gewusst, welche Belastungen auf das Gesundheitswesen zukommen würden.

«Wegen der Pandemie war im Jahr 2021 das Lohnwachstum das einzige Mal während Jahrzehnten negativ. Mit der ‹Kostenbremse› hätten darum auch die Gesundheitskosten reduziert werden müssen – genau als die Versorgungsleistungen am dringendsten benötigt wurden! So wären auch in der Schweiz lange Wartezeiten entstanden, wie sie in anderen Ländern auftraten.»1

Mit der Initiative soll die Verfassung künftig einen Kostendeckel für die Grundversicherung, die jeder Bewohner der Schweiz obligatorisch abschliessen muss, erhalten. Die FMH hat berechnet, dass, wäre dieser Kostendeckel bereits im Jahr 2000 eingeführt worden, heute 37% der Leistungen nicht mehr finanziert würden. Der abstrakt klingende Begriff «Leistungen» beinhaltet zum Beispiel die Wundversorgung nach einer Verletzung, die Behandlung einer Lungenentzündung durch den Hausarzt, Physiotherapie bei Rückenschmerzen, die Implantation einer Hüft- oder Knieprothese, medizinische Handlungen rund um eine Geburt. Gemäss FMH ist davon auszugehen, dass «sicher nicht nur sogenannt verzichtbare Leistungen entfallen» würden. «Vielmehr müssten dringend benötigte Leistungen wohl privat bezahlt werden – oder würden nicht mehr erbracht».

Viel Bürokratie wegen immer neuer Massnahmen

Da zwischen der theoretischen Vorgabe der Kostenbremse-Initiative und der realen Entwicklung der Kosten eine grosse Lücke klafft, müssten immer wieder neue Massnahmen zur Kostendämpfung ergriffen werden. Unzählige Arbeitsgruppen und Kostenkontrollstellen müssten geschaffen werden. Auch ohne die Initiative wurden in den letzten vier Jahren bereits 44 Revisionen des Krankenversicherungsgesetzes durchgeführt, die sich gemäss der Fachärztin für Allgemeine Innere Medizin und Präsidentin der FMH, Yvonne Gilli, nun in der Umsetzung befinden.2 Es stimme einfach nicht, dass die Politik keine Bemühungen unternehme, um «die Kosten unter Kontrolle zu halten und gleichzeitig die Versorgung der Bevölkerung zu optimieren».

Die FMH zeigt den grossen Nutzen unseres Gesundheitssystems für Patientinnen und Patienten auf:

An meiner Seite – der Gesundheits-Podcast

«Hochstehende Medizin orientiert sich am Menschen. Wir erzählen die Geschichten dahinter. ‹An meiner Seite› ist der Gesundheits-Podcast der FMH, der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte. Patrick Rohr auf der Suche nach mehr Lebensqualität aus Arzt- und Patientenperspektive. Seite an Seite reden wir über die ärztliche Begleitung, im Kranksein und beim Gesundwerden. Aus dem Leben: packend, lehrreich, direkt aufs Ohr.»
Quelle: https://an-meiner-seite.fmh.ch

Kostenbewusstsein statt Kostenbremse

Es gebe in jedem Gesundheitswesen Schwächen, die korrigiert werden müssten. «Ein einfacher und wichtiger Beitrag wäre zum Beispiel, dass es Ärztinnen und Ärzten erlaubt wäre, genau diejenige Anzahl an Tabletten abzugeben, die es für eine bestimmte Behandlung braucht.»2 Damit könnte der Anteil an Medikamenten, die im Gegenwert von fast vier Milliarden Franken jährlich im Abfall landeten, deutlich reduziert werden. «Wenn zum Beispiel teure Operationen vermehrt ambulant statt stationär durchgeführt werden, so werden Prämienzahlende über Gebühr belastet, weil ambulante Eingriffe im Unterschied zu stationären Behandlungen voll von der Grundversicherung gedeckt sind».2 So gebe es viele Möglichkeiten, Kosten zu reduzieren. Ohnehin sei das Kostenwachstum in den vergangenen Jahren flacher geworden und die Kosten pro Patient in der Hausarztmedizin stabil geblieben.

* Dr. med. Sabine Vuilleumier ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie FMH und Mitarbeiterin des «Schweizer Standpunkt».

1 https://www.swisshealthweb.ch/de/article/doi/saez.2024.1407383417/

2 https://www.medinside.ch/gesundheitskosten-kosten-bremse-wirkung-yvonne-gilli-fmh-interview-20240520

Zurück