«Big Chip» in der USA-China-Krise
Für die USA ist es unvorstellbar, dass der Halbleiter-Riese TSMC eines Tages in einem von Peking kontrollierten Gebiet liegen könnte
von Maria Ryan,* Grossbritannien
(29. August 2022) Ein Aspekt der Reise der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi nach Taiwan, der weitgehend übersehen wurde, ist ihr Treffen1 mit Mark Lui, dem Vorsitzenden der Taiwan Semiconductor Manufacturing Corporation (TSMC). Pelosis Reise fiel mit den Bemühungen der USA zusammen, TSMC – den weltgrössten Chiphersteller, von dem die USA in hohem Masse abhängig sind – davon zu überzeugen, einen Produktionsstandort in den USA zu errichten und die Herstellung fortschrittlicher Chips für chinesische Unternehmen einzustellen.
Die Unterstützung der USA für Taiwan basiert seit jeher auf der Opposition Washingtons gegen die kommunistische Herrschaft in Peking und Taiwans Widerstand gegen eine Übernahme durch China. Doch in den letzten Jahren ist die Autonomie Taiwans für die USA zu einem wichtigen geopolitischen Thema geworden, da die Insel den Markt für die Halbleiterherstellung dominiert.2
Halbleiter – auch bekannt als Computerchips oder einfach nur Chips – sind ein wesentlicher Bestandteil aller vernetzten Geräte, die in unserem Leben integriert sind. Sie haben auch fortschrittliche militärische Anwendungen.
Das transformative, superschnelle 5G-Internet ermöglicht eine Welt der vernetzten Geräte aller Art (das «Internet der Dinge»3) und eine neue Generation vernetzter Waffen. Vor diesem Hintergrund begannen US-Beamte während der Trump-Administration zu erkennen, dass US-Halbleiterhersteller wie Intel bei der Herstellung ihrer Produkte in hohem Masse von Lieferketten in Asien abhängig sind.
Insbesondere Taiwans Position in der Welt der Halbleiterherstellung ist ein bisschen wie der Status von Saudi-Arabien in der OPEC. TSMC hat einen Marktanteil von 53 Prozent4 am weltweiten Foundry-Markt (Foundry ist ein Fertigungsbetrieb für Mikroelektronik, der Chips im Auftrag anderer Länder herstellt). Andere in Taiwan ansässige Hersteller beanspruchen weitere 10 Prozent des Marktes für sich.
Im 100-Day Supply Chain Review Report5 der Biden-Administration heisst es daher: «Die Vereinigten Staaten sind bei der Produktion ihrer Spitzenchips in hohem Masse von einem einzigen Unternehmen – TSMC – abhängig.» Die Tatsache, dass nur TSMC und Samsung (Südkorea) in der Lage sind, die fortschrittlichsten Halbleiter (mit einer Grösse von fünf Nanometern) herzustellen, «gefährdet die Fähigkeit, den gegenwärtigen und zukünftigen Bedarf [der USA] an nationaler Sicherheit und kritischer Infrastruktur zu decken.»
Dies bedeutet, dass Chinas langfristiges Ziel der Wiedervereinigung mit Taiwan nun eine grössere Bedrohung für die Interessen der USA darstellt. Im Schanghai Communique von 1971 und im Gesetz über die Beziehungen zu Taiwan – 1979 Taiwan Relations Act – erkannten die USA an, dass die Menschen sowohl in Festlandchina als auch in Taiwan glauben, dass es nur «Ein China» gibt und dass sie beide dazugehören. Für die USA ist es jedoch undenkbar, dass TSMC eines Tages in einem von Peking kontrollierten Gebiet liegen könnte.
«Technologiekrieg»
Aus diesem Grund haben die USA versucht, TSMC in die USA zu holen, um die heimische Chip-Produktionskapazität zu erhöhen. Im Jahr 2021 kaufte das Unternehmen mit Unterstützung der Regierung Biden ein Grundstück in Arizona, um dort eine US-Fertigungsstätte zu errichten. Die Fertigstellung ist für 2024 geplant.
Der US-Kongress hat gerade den Chips and Science Act6 verabschiedet, der 52 Milliarden Dollar an Subventionen zur Förderung der Halbleiterherstellung in den USA bereitstellt. Die Unternehmen erhalten jedoch nur dann Mittel aus dem Chips Act, wenn sie sich verpflichten, keine fortschrittlichen Halbleiter für chinesische Unternehmen herzustellen.
Das bedeutet, dass TSMC und andere Unternehmen möglicherweise zwischen einer Geschäftstätigkeit in China und in den USA wählen müssen, weil die Kosten für die Herstellung in den USA ohne staatliche Subventionen als zu hoch angesehen werden.
Dies alles ist Teil eines umfassenderen «Technologiekriegs» zwischen den USA und China, in dem die USA darauf abzielen, Chinas technologische Entwicklung einzuschränken und das Land daran zu hindern, eine globale Führungsrolle im Technologiebereich zu übernehmen.
Im Jahr 2020 verhängte die Trump-Administration drastische Sanktionen7 gegen den chinesischen Tech-Giganten Huawei, die darauf abzielten, das Unternehmen von TSMC abzuschneiden, auf das es für die Produktion von High-End-Halbleitern angewiesen war, die es für sein 5G-Infrastrukturgeschäft benötigte.
Huawei war der weltweit führende Anbieter von 5G-Netzwerkausrüstung, aber die USA befürchteten,8 dass die chinesische Herkunft des Unternehmens ein Sicherheitsrisiko darstellte (obwohl diese Behauptung angezweifelt wurde).9 Die Sanktionen sind immer noch in Kraft, weil sowohl Republikaner als auch Demokraten andere Länder daran hindern wollen, die 5G-Ausrüstung von Huawei zu nutzen.
Die britische Regierung hatte ursprünglich beschlossen, Huawei-Ausrüstung in bestimmten Teilen des britischen 5G-Netzes zu verwenden. Die Sanktionen der Trump-Regierung zwangen London, diese Entscheidung rückgängig zu machen.10
Ein wichtiges Ziel der USA scheint es zu sein, ihre Abhängigkeit von Lieferketten in China oder Taiwan für «aufstrebende und grundlegende Technologien» zu beenden, was fortschrittliche Halbleiter einschliesst, die für 5G-Systeme benötigt werden, aber in Zukunft auch andere fortschrittliche Technologien umfassen kann.
Bei Pelosis Reise nach Taiwan ging es um mehr als nur um Taiwans entscheidende Rolle im «Technologiekrieg». Aber die Dominanz des wichtigsten Unternehmens hat der Insel eine neue und entscheidende geopolitische Bedeutung verliehen, die die bestehenden Spannungen zwischen den USA und China über den Status der Insel wahrscheinlich noch verstärken wird. Sie hat auch die Bemühungen der USA verstärkt, ihre Halbleiter-Lieferkette wieder «ins Land» zu holen.
* Maria Ryan ist ausserordentliche Professorin für US-Geschichte an der Universität von Nottingham: «Meine Forschungsinteressen liegen vor allem im Bereich der US-Aussenpolitik nach dem Kalten Krieg sowie in der Geschichte der CIA und der Geheimdienstpolitik. Mein jüngstes Buch, Full Spectrum Dominance: Irregular Warfare and the War on Terror (Irreguläre Kriegsführung und der Krieg gegen den Terror), wurde 2019 von Stanford University Press veröffentlicht. Es untersucht die Entwicklung neuer US-Fähigkeiten zur irregulären Kriegsführung an den ‹peripheren› Schauplätzen des ‹Kriegs gegen den Terror› in Afrika südlich der Sahara, in Georgien und im Kaspischen Becken sowie auf den Philippinen. Derzeit arbeite ich an einem von der British Academy finanzierten Projekt über den ‹Technologiekrieg› zwischen den USA und China.» |
Quelle: https://theconversation.com/taiwan-dominates-the-worlds-supply-of-computer-chips-no-wonder-the-us-is-worried-188242, 4. August 2022
(Übersetzung «Schweizer Standpunkt»)
1 https://fortune.com/2022/08/03/nancy-pelosi-taiwan-tsmc-mark-liu-china-market/
3 https://theconversation.com/uk/topics/internet-of-things-1724
4 https://www.whitehouse.gov/wp-content/uploads/2021/06/100-day-supply-chain-review-report.pdf
6 idem.
7 https://www.dw.com/en/us-boosts-sanctions-for-china-tech-giant-huawei/a-54599763
10 https://www.reuters.com/article/us-britain-huawei-idUSKCN24E30P