Warum schadet die derzeitige Regierung so sehr dem deutschen Mittelstand?

Christian Kreiss. (Bild wikipedia)

von Christian Kreiss,* Deutschland

(9. Januar 2023) Viele politische und wirtschaftliche Massnahmen der letzten Zeit schaden offenkundig stark unserem Mittelstand, dem Rückgrat unseres Wohlstandes. Führende Wirtschaftsvertreter sagen: «Die Substanz der Industrie ist bedroht»1 oder: «Wir werden einfach ärmer. Für Deutschland male ich Ihnen ein Bild: Ich würde mich nicht wundern, wenn wir am Ende 20 bis 30 Prozent ärmer sind.»2 Das konservative «Handelsblatt» spricht von der Gefahr einer Deindustrialisierung Deutschlands.3

Massgeblich an diesem Niedergang beteiligt ist die Politik unserer Aussenministerin und unseres Wirtschaftsministers. Welche Auswirkungen hat diese Politik, was könnten ihre Motive sein und wer profitiert davon? [Dieser Text wurde Ende Oktober 2022 verfasst. Red.]

Politische Massnahmen und ihre Auswirkungen

Energiepolitik

Bereits vor Beginn des Ukrainekrieges, am 3. Februar 2022 sagte Annalena Baerbock: « Von Nord Stream 2 profitiert nur einer: Das System Putin.»4 Diese Aussage ist falsch. Das preiswerte und äusserst umweltfreundliche russische Pipeline-Erdgas nützt unserem Mittelstand und unseren Bürgern in grossem Ausmass. Es sorgt für eine günstige Energieversorgung unserer Haushalte und wettbewerbsfähige Kosten für die Unternehmen in unserem Lande. Die Aussage zeigt gut die Einäugigkeit und ideologische Brille, durch die die Aussenministerin die Welt betrachtet. Die Interessen der Menschen und der Unternehmen hierzulande spielen für sie offenbar keine nennenswerte Rolle.

Sanktionspolitik und Verunglimpfung Russlands

Seit dem Ukrainekrieg schürt Frau Baerbock in starkem Masse Ressentiments gegen Russland, verunglimpft Land und Leute, feuert dadurch den Krieg weiter an und verhindert alle Ansätze zu Friedensverhandlungen. Aussagen wie «Das wird Russland ruinieren»5 am 25. Februar 2022 anlässlich des ersten Sanktionspaketes oder ihre Ausführungen, sie wolle Russland derart schädigen, dass «es volkswirtschaftlich jahrelang nicht mehr auf die Beine kommt»6 schüren Abneigung und Feindschaft gegen das russische Volk und verhindern im Vorfeld alle Bemühungen um Frieden. Die ständigen Forderungen der Grünen-Politiker nach immer mehr Waffenlieferungen widersprechen jahrzehntelangen Grundsätzen grüner Politik.

Am Rande sei bemerkt: Für mich ist es ein Skandal ersten Ranges, dass Gesundheitsminister Lauterbach per Twitter Russland den Krieg erklären kann und nicht sofort aus seinem Amt entfernt wird wegen diplomatischen Fehlverhaltens gewaltigen Ausmasses.

Die deutsche Sanktionspolitik gegen Russland schadet dem deutschen Mittelstand in grösstmöglichem Ausmass. Die Gaspreise der deutschen Industrie waren diesen Sommer etwa acht Mal so hoch wie die der US-Konkurrenz.7 Das überlebt unser Mittelstand nicht lange. Dazu kommen sanktionsbedingte Lieferausfälle und Materialengpässe, die die Produktion ebenfalls beeinträchtigen.

Auch unter Umweltgesichtspunkten ist die Energiepolitik der Bundesregierung fatal falsch. Statt Gas direkt über die Pipelines aus Russland zu beziehen wird es nun verflüssigt, um die Welt geschickt und landet zu weit überhöhten Preisen wieder auf dem europäischen Markt. Ausserdem kommen nun grössere Mengen als früher von äusserst umweltbedenklichen US-Frackinggas zu sehr viel höheren Preisen als russisches Pipeline-Gas in Europa an. Ähnliches geschieht mit russischem Öl, das nun wegen der Sanktionen über kostspielige und umweltschädliche Dreiecksgeschäfte schliesslich wieder auf dem europäischen Markt landet. Das ist absurde, massiv umwelt- und wirtschaftsschädigende Politik.

Wirtschaftspolitik

Wirtschaftsminister Habeck glänzt durch Inkompetenz, wirtschaftspolitischen Zickzackkurs und Fehleinschätzungen. Ein paar wenige Beispiele. Der Wirtschaftsminister glaubte, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) sei für das Prüfen von Handwerkerrechnungen zuständig.8 Angesichts dramatisch steigender Gaspreise wollte er eine Gaspreisumlage einführen, die die Gaspreise für die Endabnehmer noch weiter erhöht hätte. Dann die Kehrtwende eines Gaspreisdeckels, also genau das Gegenteil.

Die Idee von Herrn Habeck, die verbliebenen drei Atomkraftwerke am 1. Januar 2023 abzuschalten, wenn es allmählich richtig kalt wird, ist an ökonomischer Kurzsichtigkeit schwer zu überbieten. Statt eines detaillierten Energiefahrplanes durch die Wintermonate nach Schweizer Vorbild zu erarbeiten scheint der Wirtschaftsminister lieber auf einen milden Winter und Glück zu hoffen.

Aussagen wie wir hätten kein Stromproblem, sondern ein Gasproblem oder Läden seien nicht insolvent, sie würden einfach nur nicht mehr verkaufen sprechen Bände. Für Unternehmen ist Kompetenz, Planungssicherheit und Zuverlässigkeit wichtig. Diese Grundpfeiler der Ökonomie werden durch solch einen Wirtschaftsminister ruiniert.

Dem Ausspruch von Sarah Wagenknecht: «Die Grünen sind die gefährlichste Partei im Bundestag»9 kann ich daher voll und ganz zustimmen. Die Politik der beiden grünen Spitzenpolitiker hilft darüber hinaus in keiner Weise der Ukraine und schädigt die russische Wirtschaft meines Erachtens weit weniger als die deutsche.

Wer profitiert?10

So stellt sich die Frage: Weshalb machen unsere Grünen-Spitzenpolitiker eine solch wirtschaftsfeindliche Politik zu Lasten der Bürgerinnen und Bürger? Des einen Leid, des andern Freud. Nicht alle sind unglücklich über diese mittelstandsschädigende Grünen-Politik. Die USA wollen Deutschland seit Jahren von der günstigen russischen Erdgasversorgung abschneiden.

Nord Stream 2 ist den USA seit Jahren ein Dorn im Auge. So sagte US-Präsident Biden bereits vor dem Ukraine-Krieg am 8. Februar 2022: «Sollte Russland in die Ukraine einmarschieren, habe die Pipeline Nord Stream 2 keine Zukunft.» Auf die Frage, wie er das bei einem Projekt unter deutscher Kontrolle bewerkstelligen wolle, sagte Biden: «Ich verspreche Ihnen, dass wir es schaffen werden.»11 Das ist mittlerweile gelungen. Der US-Top-Ökonom Jeffrey Sachs vermutet, dass die USA die Sprengungen vorgenommen haben.12

Dieses endgültige Abschneiden Mitteleuropas von den Nord Stream-Pipelines bezeichnete US-Aussenminister Anthony Blinken sechs Tage nach den Sprengungen am 2. Oktober 2022 als «tremendous opportunity», als eine grossartige Gelegenheit.13 Abgesehen von steigenden Fracking-Gas-Exporten bedeutet das Schwächen des deutschen Mittelstandes auch sehr gute und vor allem billige Einstiegschancen für Unternehmenskäufer aus den USA.

Bereits 2018 besassen die grossen US-amerikanischen Investmentgesellschaften wie Blackrock oder Vanguard 34,6 Prozent der Anteile aller DAX-Unternehmen. Weitere 20 Prozent gehörten britischen und irischen Vermögensverwaltern.14 Das Problem: Bei Mittelständlern funktioniert dieses Geschäftsmodell nicht, weil sie nicht börsennotiert, sondern in Familienhand sind und die Familien bei normalem Geschäftsverlauf nicht verkaufen wollen. Durch die Billiggeldpolitik der USA in den letzten 15 Jahren ist sehr viel Anlage suchendes Geld entstanden, das jetzt dringend nach lukrativer Verwertung strebt.15

Falls es tatsächlich zu einer Schwächung und einem Ausbluten des deutschen Mittelstandes kommen sollte, bietet das eine «tremedous opportunity», eine grossartige Gelegenheit, viele davon preiswert aufzukaufen. Durch die Nord Stream-Sprengungen wurde diese günstige Gelegenheit zementiert.

Auf wessen Seite stehen unsere (Grünen-)Spitzenpolitiker?

Und so stellt sich die Frage: auf welcher Seite stehen unsere Spitzenpolitiker? Wessen Interessen vertreten sie? Die Interessen unseres Mittelstandes, unserer Bürgerinnen und Bürger oder andere Interessen?

Bereits in den Zeiten der Lockdown-Politik zeichneten sich die grünen Politiker mit Forderungen nach möglichst langen und harten Lockdowns aus. Die Lockdown-Politik schwächte kleine und mittelständische Unternehmen enorm. Jeder Tag Lockdown bescherte den Grosskonzernen und den hinter ihnen stehenden Milliardären Extra-Milliardengewinne.16 Auch während der Lockdown-Zeit, während die Grünen noch in der Opposition waren, betrieben sie nach Kräften eine mittelstandfeindliche, mittelstandsschädigende Politik.

Jetzt unterstützt die grüne Politik über eine tief wirtschaftsfeindliche Energie- und Sanktionspolitik erneut die Interessen der internationalen Grosskonzerne zu Lasten der kleinen und mittleren heimischen Unternehmen. Meiner Meinung nach hängt dies möglicherweise damit zusammen, dass Frau Baerbock Mitglied der «Young Global Leaders» des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos ist.17 Das Forum vertritt bekanntermassen die Interessen der internationalen Grosskonzerne und der dahinterstehenden Milliardäre.

Ende August stellte unsere Aussenministerin in ihrer mittlerweile berühmten Aussage klar, auf wessen Seite sie steht: «Egal, was meine deutschen Wähler denken», die die deutsche Wirtschaft und Menschen schädigenden Sanktionen werden bleiben, auch wenn es im Winter Unruhen geben sollte. Frau Baerbock rechnete Ende August selbst damit, die Menschen würden in Deutschland «auf die Strasse gehen und sagen, dass sie ihre Energiepreise nicht bezahlen können.»18 Trotzdem wolle sie Sanktionen um jeden Preis aufrechterhalten, auch gegen die Interessen der deutschen Wähler.

In diesem Zusammenhang sind vielleicht Aussagen von Oskar Lafontaine von August 2022 erhellend: «Deutschland ist kein souveränes Land. […] Deutschland handelt im Ukraine-Krieg als Vasall der USA. […] Die führenden Politiker der Ampel, Scholz, Baerbock, Habeck und Lindner sind treue US-Vasallen.» Die Grünen hätten sich «zur schlimmsten Kriegspartei im deutschen Bundestag gewandelt». Die Aussagen «von Annalena Baerbock, wir sollten ‹Russland ruinieren› muss man schon faschistoid nennen. […] Die deutsche Aussenpolitik schadet den Interessen unseres Landes und ist kein Beitrag zum Frieden in Europa.»19

Der ehemalige SPD-Politiker und Erste Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi schreibt in seinem im Januar 2022 erschienenem Buch Ähnliches: «Deutschland und Europa sind heute in Fragen der Sicherheit und der Aussenpolitik nicht souverän. Es sind die USA, die hier in Europa die Richtung vorgeben. Verfolgen sie dabei auch unsere Interessen? Führen sie Europa aussen- und sicherheitspolitisch in eine friedliche Zukunft? Ich habe Zweifel daran.»20

Was tun?

Die beiden grünen Spitzenpolitiker schädigen aktiv unseren Mittelstand, die Basis unseres Wohlstandes. Insbesondere unsere Aussenministerin betreibt nach eigener Aussage keine Politik für ihre deutschen Wähler, sondern fördert meiner Meinung nach als «Young Global Leader» die Interessen internationaler Grosskonzerne, deren Eigentümer und Chefs sich mit ihr regelmässig in Davos treffen.

Die Lösung dieser unguten Situation wäre denkbar einfach, nämlich das, was Oskar Lafontaine vorschlägt: «Drängen auf einen Waffenstillstand, die Vorlage eines Friedensplanes und die Inbetriebnahme von Nord Stream 2.»21

Diese Empfehlungen Lafontaines stammen noch aus der Zeit vor den Sprengungen der Erdgas-Röhren. Aber zumindest eine Röhre von Nord Stream ist ja offenbar noch intakt und könnte in Betrieb genommen werden. Das würde unsere Energieversorgung erheblich verbessern, gerade in den kritischen Wintermonaten und dadurch unseren Mittelstand und unsere Haushalte entlasten.

* Prof. Dr. Christian Kreiss, Jahrgang 1962: Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor für BWL mit Schwerpunkt Investition, Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Autor von sieben Büchern: Gekaufte Wissenschaft (2020); Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft (2019); BWL – Blenden Wuchern Lamentieren (2019, zusammen mit Heinz Siebenbrock); Werbung nein danke (2016); Gekaufte Forschung (2015); Geplanter Verschleiss (2014); Profitwahn (2013). Drei Einladungen in den Deutschen Bundestag als unabhängiger Experte (Grüne, Linke, SPD). Zahlreiche Fernseh-, Rundfunk- und Zeitschriften-Interviews, öffentliche Vorträge und Veröffentlichungen. Mitglied bei ver.di und Christen für gerechte Wirtschaftsordnung. Homepage www.menschengerechtewirtschaft.de

1 BDI-Präsident Siegfried Russwurm Anfang September 2022: https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/erste-firmen-stoppen-produktion-fuer-immer-substanz-der-industrie-bedroht-li.262725

2 DIHK Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben: https://www.nachdenkseiten.de/?p=86125

3 https://www.handelsblatt.com/unternehmen/gas-und-strom-deutschland-steckt-in-einer-energiepreisfalle-in-schluesselindustrien-werden-betriebe-reihenweise-schliessen/28622880.html

4 ZDF 3.2.22: https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/baerbock-nord-stream-2-russland-100.html

5 rnd 25.2.22: https://www.rnd.de/politik/ukraine-krieg-baerbock-ueber-sanktionen-das-wird-russland-ruinieren-RZDYS2DEPRK5OST7ZGGRZ6UN4I.html

6 Anne Will, focus 2.5.22: https://www.focus.de/kultur/kino_tv/tv-kolumne-anne-will-baerbock-will-dass-russland-nicht-mehr-auf-die-beine-kommt_id_92735159.html

7 Handelsblatt 29.8.2022: https://www.handelsblatt.com/unternehmen/gas-und-strom-deutschland-steckt-in-einer-energiepreisfalle-in-schluesselindustrien-werden-betriebe-reihenweise-schliessen/28622880.html

8 https://www.heise.de/tp/features/Nach-Aussagen-zu-Insolvenzen-Hat-Deutschland-einen-Minister-Ahnungslos-7259862.html

9 https://www.youtube.com/watch?v=YRnovaXQ4dI

10 Die folgenden Ausführungen geben streckenweise meine Aussagen eines Aufsatzes wieder, der Mitte Oktober 2022 u.a. bei https://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=89164 erschien.

11 https://www.zdf.de/nachrichten/politik/scholz-biden-ukraine-konflikt-100.html

12 https://www.nachdenkseiten.de/?p=88831#h08

13 https://www.youtube.com/watch?v=_AL5Y3wNgBs

14 https://www.focus.de/finanzen/boerse/investment-wem-gehoert-die-deutschland-ag_id_10787791.html

15 https://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=89164

16 Kreiss, Christian zu Lockdowns: https://www.heise.de/tp/features/Lockdowns-Wer-gewinnt-wer-verliert-6335550.html?seite=all

17 https://www.abgeordnetenwatch.de/profile/annalena-baerbock/fragen-antworten/sehr-geehrte-frau-baerbock-wie-wird-ihre-mitgliedschaft-im-young-global-leaders-des-weltwirtschaftsforums

18 Welt.de 1.9.2022: https://www.welt.de/politik/ausland/article240801361/Baerbock-Regierung-steht-an-der-Seite-der-Ukraine-egal-was-meine-deutschen-Waehler-denken.html

19 Berliner Zeitung 30.8.22: https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/oskar-lafontaine-deutschland-handelt-im-ukraine-krieg-als-vasall-der-usa-li.261471

20 Klaus von Dohnanyi, Nationale Interessen: Orientierung für deutsche und europäische Politik in Zeiten globaler Umbrüche, München, Siedler, Januar 2022, Vorwort S. 10

21 https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/oskar-lafontaine-deutschland-handelt-im-ukraine-krieg-als-vasall-der-usa-li.261471

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