Krim: Zankapfel mit Konfliktpotential

Wolfgang Effenberger
(Bild zvg)

Zum 7. Jahrestag des Referendums

von Wolfgang Effenberger

(31. März 2021)  Das Referendum vom 16. März 2014 – die Abstimmung für einen Zusammenschluss mit der Russischen Föderation – auf der Krim und in Sewastopol zeigte ein eindeutiges Ergebnis: Bei einer Wahlbeteiligung von 83 Prozent stimmten 96,7 Prozent für den Anschluss an Russland.1

Die Krim, mitgeprägt von Griechen und Römern, ist ein Brennglas europäischer Kulturgeschichte. Die strategisch günstige Lage nahe dem nördlichen Ende der historischen Seidenstrasse («mongolische Route») förderte nicht nur die Handelsbeziehungen mit der damaligen Welt, sondern lockte auch Eroberer an. Schon vor dem 1. Weltkrieg erkannten die Briten die geopolitische Bedeutung des gesamten Raums, nach dem 2. Weltkrieg und vor allem nach dem Kalten Krieg waren es dann die Amerikaner. Im April 2005 unterstützten die USA offen Bestrebungen in der Ukraine für eine Mitgliedschaft in der WHO und der NATO zu werden.

Auch Polen hat seit mehreren Jahrhunderten handfeste Interessen.

Im Frühjahr 1920 hatten Pilsudskis Truppen das im Bürgerkrieg blutende Russland überrannt und standen im Mai in Kiew.

Zum Schutz eines Gross-Polens vor Russland und Deutschland sollte ein Puffer zwischen Ostsee und Schwarzem Meer entstehen, das sog. Intermarium, eine pro-imperialistische Allianz von rechten, nationalistischen Regimen in Osteuropa, die sich in erster Linie gegen die Sowjetunion richtete.

Dieses Grossmachtprojekt Pilsudskis wurde 2015 als «Drei-Meere-Initiative» (Ostsee, Adria und Schwarzes Meer) wiederbelebt.2

Intermarium-Staaten (grün) (Quelle wikipedia/mt)

Auf dem Gipfel Anfang Juli 2017 in Warschau nahm sogar der US-amerikanische Präsident Donald Trump teil, was dem Treffen auch eine transatlantische Perspektive gab. Doch welche?

Offensichtlich ging es um die Stärkung Polens und der baltischen Staaten. Vor allem aber darum, jegliche Annäherung Deutschlands an Russland dauerhaft zu vermeiden.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeitserklärung 1991 befand sich die Ukraine in einer völlig neuen Situation. Historisch zerrissen durch polnische, österreichische, deutsche und russische Machthaber, konnte das Landes nur schwer seine Identität finden –nicht zuletzt auch wegen der Interessen von EU und NATO. Dabei hatte der amerikanische Aussenminister James Baker am 7. Februar 1990 bei seinem Moskaubesuch zugesichert, dass die NATO sich anschliessend keinen Inch (2,54 cm) weiter nach Osten ausdehnen werde.3

Am 21. November 2013 stoppte Präsident Janukowytsch die EU-Assoziierungsaktiviäten, die nachhaltige Eingriffe in Staat und Gesellschaft vorsahen.

Zudem stand nicht Teil 1 (Wirtschaft), sondern nur Teil 2 (Politik) mit einer militärischen Komponente fixiert zur Unterschrift.4

Im Artikel 4 der militärischen Vereinbarungen wurde die «immer tiefere Einbindung der Ukraine in die sicherheitspolitische Area der EU» festgeschrieben. Das entsprach den geopolitischen Zielen Washingtons und fügte sich auf wunderbare Weise in die Agenda von Clintons Seidenstrassenstrategiegesetz vom März 1999. Mit diesem Gesetz definierten die USA ihre wirtschaftlichen und strategischen Interessen in einem Korridor vom Mittelmeer über das Schwarze Meer bis nach Zentralasien. In voller Übereinstimmung mit dem von Brzezinski entwickelten geostrategischen Konzept sollten Wettbewerber der USA – wie Russland, Iran und China – geschwächt und die gesamte Region vom Balkan und dem Schwarzen Meer bis an die chinesische Grenze in einen Flickenteppich amerikanischer Protektorate verwandelt werden.5

Für Francis Boyle, Russlandexperte der Harvard Universität, war es das erklärte Ziel Obamas und seines Mentors Brzezinski, die Russische Föderation zu zerschlagen. Er sieht es als Tatsache, dass seit dem 11. September 2001 die US-Regierung Länder zerstört und die NATO dazu als Instrument benutzt. Diese Absicht sei belegt durch den damaligen stellvertretenden US -Verteidigungsminister Paul Wolfowitz und später durch NATO-Oberbefehlshaber General Wesley Clark. Die Liste des Pentagons umfasst die Länder Afghanistan, Iran, Irak, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und Syrien. Mit der gleichen Strategie würden nun USA/NATO/EU die Destabilisierung in der Ukraine fördern.6

Am 21./22. Februar 2014 wurde unter Führung des Rechten Sektors das Parlament besetzt: Janukowytsch floh, und Obama erklärte zufrieden:

«Wir, die USA, haben einen Deal zum Machtübergang vermittelt.»7

Es folgte der geopolitische Wettlauf um die Krim. Und hier liegen die Trümmer der unipolaren US-Machtphantasien.

Am 4. Dezember 2014 wurde im US-Kongress mit überwältigender Mehrheit (nur 10 Gegenstimmen) die Resolution H. Res. 758 angenommen, die das Kongressurgestein Ron Paul auf seiner Homepage noch am gleichen Tag unter dem Titel «Rücksichtsloser Kongress 'erklärt Krieg' gegen Russland» («Reckless Congress 'Declares War' on Russia») als eines der übelsten Gesetze bezeichnet.

H. Res. 758 ist eine Resolution, die, so heisst es darin wörtlich, «das Vorgehen der russischen Föderation unter Präsident Wladimir Putin als eine Politik der Aggression gegen Nachbarstaaten mit dem Ziel der politischen und wirtschaftlichen Dominanz scharf verurteilt.»8

Der Vorbemerkung folgt ein umfangreiches Sündenregister Russlands. Gebetsmühlenartig wird die Russische Föderation u.a. beschuldigt,

  • in die Ukraine einmarschiert zu sein und deren Souveränität verletzt zu haben;

  • Computerattacken in den USA durchzuführen;

  • 2008 in Georgien einmarschiert zu sein;

  • an Syrien Waffen verkauft zu haben, etc.

Dem aus Halbwahrheiten und dreisten Lügen bestehenden Sündenregister folgen 22 Forderungen, die den Kongress und den Präsidenten zu Handlungen zwingen sollen. So wird der Präsident unter anderem aufgefordert,

  • auf die US-Verbündeten und Partner in Europa und die anderen Staaten der Welt hinzuwirken, gezielte Sanktionen gegen die Russische Föderation und ihre Führung zu verhängen, sowie den Abzug der russischen Truppen samt ihrer Ausrüstung von ukrainischem Territorium durchzusetzen;

  • in Abstimmung mit dem Kongress den Zustand und die Einsatzbereitschaft der US-Streitkräfte und der Streitkräfte der anderen NATO-Staaten zu überprüfen sowie die aus der Beistandsklausel (Art. 5) erwachsene Verpflichtung zur kollektiven Verteidigung ernst zu nehmen und dafür zu sorgen, dass eventuelle Mängel abgestellt werden.

Entrüstung in EU und deutschen Medien? Fehlanzeige.

Ende 2015 stellte der ehemalige stellvertretende Finanzminister unter Ronald Reagan, Paul Craig Roberts, Ende 2015 in seinem Artikel «Warum der 3. Weltkrieg am Horizont auftaucht» fest:

«Es muss für die russische Regierung enttäuschend sein, zu sehen, dass die Führer der Europäischen Union lieber einen Atomkrieg befürworten, als die Propaganda Washingtons in Frage zu stellen.»9

Thomas Mann hatte bereits im amerikanischen Exil die Neigung der US-Administration erkannt,

«Europa als ökonomische Kolonie, militärische Basis,
Glacis im zukünftigen Atom-Kreuzzug gegen Russland zu behandeln,
als ein zwar antiquarisch interessantes und bereisenswertes Stück Erde,
um dessen vollständigen Ruin man sich aber den Teufel scheren wird,
wenn es den Kampf um die Weltherrschaft gilt.»10

Die USA haben als aussereurasische Macht seit 1945 unermüdlich ihre Militärbasen um ganz Eurasien aufgebaut und auch vor grossen Kriegen und damit einhergehenden nachhaltigen Umwelt- und Klimaschäden (z.B. Entlaubungsmittel Agent Orange, DU-Munition aus abgereichertem Uran…) nicht zurückgeschreckt (Bsp. Vietnam, Serbien).

Ab dem 17. Januar 1991 – nachts um 3:00 Uhr starteten die ersten Kampfflugzeuge der US-Alliierten zu Luftangriffen auf den Irak – wurde mit Zustimmung bzw. Billigung von EU und NATO die Wiege der Zivilisation bombardiert. Darüberhinaus liessen Wirtschaftskrieg, Staatsterrorismus und Folter das Land zwischen Euphrat und Tigris im Chaos versinken.11

Dabei ist es primäre Aufgabe einer Besatzungsmacht, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Gemäss Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung hat die Besatzungsmacht die Verpflichtung, die bestehenden Gesetze zu achten und damit die Ordnung zu gewährleisten – diese Verantwortung ergibt sich auch aus der IV. Genfer Konvention.12 Auch das ist ein eklatanter Verstoss gegen das Völkerrecht, ein Fall für den internationalen Gerichtshof.

Und heute?

Trotz der Corona-Pandemie erreichen die Militärbudgets weltweit neue Rekordstände.

2020 haben die USA knapp drei Mal so viel Geld für Verteidigung ausgegeben wie ihre Rivalen China und Russland zusammen.13

Angesichts der US-amerikanischen Geo- und Rüstungspolitik dürften Russland und China vor allem Interesse an einer Verhinderung des Krieges haben. Beide Länder favorisieren eine multipolare Friedensordnung. Vladimir Putin liess am 27. Januar in seiner online-WEF-Rede in der 28. Minute ganz nebenbei einen bemerkenswerten Satz fallen: «Die Ära des Versuchs, eine unipolare Welt aufzubauen, ist vorbei.»14 Putin sieht überall auf der Welt unterschiedliche Entwicklungszentren mit eigenen Modellen, politischen Systemen und sozialen Institutionen und er hält es für extrem wichtig, «Mechanismen für die Harmonisierung ihrer Interessen zu entwickeln».15

Unter US-Präsident Biden hat die Dämonisierung Russlands und ihres Präsidenten erneut Fahrt aufgenommen. Die USA setzen auf Eskalation!

Und das im Interesse einer kleinen global agierende Wirtschafts- und Finanzelite, die aus Krieg und Zerstörung ihre Profite zieht und im Chaos ihre Strukturen ausbaut.

Wir brauchen eine Kultur des Verstehens und Verständigens, eine Kultur des Friedens!

Anmerkungen

1 Hendrik Weber: unsere Krim Staatsstreich oder demokratische Entscheidung? o.O. 2020, S. 74

2 https://www.bpb.de/internationales/europa/polen/303999/analyse-das-intermarium-und-die-drei-meere-initiative-als-elemente-des-euroskeptischen-diskurses-in-polen      (aufgerufen am 7.3.2021)

3 Hendrik Weber: unsere Krim Staatsstreich oder demokratische Entscheidung? o.O. 2020, S. 184

4 Wolfgang Effenberger: Schwarzbuch EU & NATO. Warum die Welt keinen Frieden findet. Höhr-Grenzhausen 2020, S. 324

5 Wolfgang Effenberger/ Konrad Löw: Pax americana. München 2004, S. 511

6 Interview With Prof Francis Boyle: Ukraine Part Of US/NATO/EU Plan To Break Up Russia vom 2.2.2014 unter https://www.countercurrents.org/boyle220214.htm (aufgerufen
8.3.2021)

7 Obama Admits: “We Brokered power transition deal’ in Ukraine vom 22.2015 unter http://archive.almanar.com.lb/english/article.php?id=193543 (aufgerufen 9.3.2021)

8 H.Res.758 - Strongly condemning the actions of the Russian Federation, under President Vladimir Putin, which has carried out a policy of aggression against neighboring countries aimed at political and economic domination.113th Congress (2013-2014) unter https://www.congress.gov/bill/113th-congress/house-resolution/758 (aufgerufen 9.3.2021)

9 Paul Craig Roberts. Why WWIII Is on The Horizon. (28/12/15)

10 Thomas Mann: Deutsche Hörer! Europäische Hörer! Darmstadt 1986, Klappentext Rückseite

11 Jakob Reimann: Seit 30 Jahren bombardieren die USA den Irak vom 11. März 2021 unter https://www.nachdenkseiten.de/?p=70630 (11.3.2021)

12 Rüdiger Wolfrum: Genfer Recht und Bagdager Realität vom 6.1.0.2004 unter https://www.faz.net/aktuell/politik/ruediger-wolfrum-genfer-recht-und-bagdager-realitaet-11240815-p2.html (12.3.2021)

13 USA bei Militärausgaben einsame Spitze vom 25.2.2021 https://www.dw.com/de/usa-bei-milit%C3%A4rausgaben-einsame-spitze/a-56707052 (11.3.2021)

14 Davos 2021: Putins Rede im Überblick vom 28.1.2021 unter
http://www.russland.news/davos-2021-putins-rede-im-ueberblick (11.3.2021)

15 Ebenda

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