Deutschland – ein Champion im Niedergang

Marc Friedrich. (Bild Alexandra Nick (F&P))

Vom Exportweltmeister zu Wärmehallen und Stromausfällen: Deindustrialisierung schreitet voran. Wer stoppt den Wahnsinn?

von Marc Friedrich*

(17. November 2022) «Deutschland muss sterben!» So heisst ein beliebtes Lied der Hamburger Punkband «Slime», zu dem gerne Pogo getanzt wird. Kann denn ein Land sterben? Ja, zuerst seine Wirtschaft und damit auch über kurz oder lang das ganze Land, denn die Wirtschaft ist der Herzschlag eines Landes. Und wenn das Herz stirbt, bleibt alles andere auch stehen.

Der Patient «Deutschland» wurde mit einigen Beschwerden in die Notaufnahme eingeliefert, die sich zuletzt rapide verschlimmert haben, und jetzt liegt das Land auf der Intensivstation.

Momentan haben wir noch keinen Herztod, aber etliche Warnsignale, dass ein akuter und schwerer Herzinfarkt droht. Wir sehen ein Vorhof-Flimmern in Form von rasant steigenden Energiepreisen und massiver Verunsicherung der Bürger, welche sich durch eine Kaufzurückhaltung ausdrückt. Ein Herz-Stolpern durch offensichtlich überforderte Politiker und unverblümte Warnungen von besorgten Branchenvertretern – und auch schon einige kleinere Infarkte sind aufgetreten in Form von Kurzarbeit sowie Insolvenzen erster Unternehmen. Selbst ein Laie würde attestieren: Es steht nicht gut um den Patienten, akute Gefahr ist in Verzug.

Die Lage spitzt sich immer dramatischer zu.1 Man muss sich schon die Augen reiben und klar machen, dass man nicht in einem Alptraum gefangen ist. Hätte Ihnen jemand vor wenigen Jahren gesagt, dass wir in Deutschland über Energiekrise, Stromausfälle, Wärmehallen, leere Regale und geforderte Waffenlieferungen durch die Grünen sprechen würden, hätten sie denjenigen völlig zurecht als Spinner oder Verschwörungstheoretiker abgekanzelt. Doch jetzt sehen wir genau diesen Paradigmenwechsel in einer atemberaubenden Geschwindigkeit und damit einhergehend den Niedergang des Landes.

Immer mehr Unternehmen klagen über die hohen Energiepreise, Verbände und Branchenvertreter warnen vor einer Insolvenzwelle sowie einer Deindustrialisierung Deutschlands.2

Durch die immens steigenden Energie- und Strompreise geraten nicht nur wir Bürger ständig weiter unter Druck, sondern auch die deutsche Wirtschaft und Industrie. Vor allem die energieintensiven Branchen wie Chemie, Glas, Papier oder Metall stehen mit dem Rücken zur Wand. Zunehmend gehen Unternehmen dazu über, ihre Produktion zu drosseln, um Kosten zu sparen. Mitarbeiter werden in Kurzarbeit geschickt und Investitionen werden gestoppt.

Apropos Investitionen: Ausländische Unternehmen werden es sich zweimal überlegen, ob sie im Hochsteuerland Deutschland, mit jetzt auch noch Rekorden-Energiepreisen plus zäher Bürokratie, investieren wollen. Ebenso überlegen jetzt schon zehn Prozent der Firmen, die Produktion ins Ausland zu verlagern, um die Energiekosten wieder in den Griff zu bekommen und auf diese Weise wettbewerbsfähig auf dem globalen Markt zu bleiben. Andere haben aufgegeben und die Tore ganz geschlossen, respektive sie mussten Insolvenz anmelden. Weitere Unternehmen werden leider folgen, wenn sich die Situation nicht rasch bessern sollte. Die unvermeidliche Rezession3 wird die Lage für viele Firmen und Bürger weiter verschlimmern.

Der spektakuläre Abstieg Deutschlands wird genauso in die Geschichtsbücher eingehen wie sein Aufstieg durch das Wirtschaftswunder: vom wirtschaftlichen Powerhouse zu Wärmehallen innerhalb weniger Jahre.

Vorläufer für Inflation: Produzentenpreise. (Quelle Buba)4

Wie prekär die Situation ist, zeigt der kolossale Anstieg der Erzeugerpreise. Diese stiegen im August um 45,8 Prozent auf das höchste Niveau seit der Datenerhebung – im Jahr 1955. Alleine gegenüber dem Vormonat ging es um sportliche 7,9 Prozent nach oben. Der grösste Kostentreiber war die Energie: Kohle, Öl, Gas und Strom haben sich auf Jahressicht mehr als verdoppelt. Besonders drastisch ist der Anstieg von Strom: +174,9 Prozent. Wichtig zu wissen: Die Erzeugerpreise signalisieren weiteres Ungemach, denn seit jeher gelten sie als Vorläufer für die Inflation.

Die Unternehmen müssen die steigenden Preise an den Endverbraucher weitergeben, ansonsten droht ihnen die Insolvenz. Wenn sie diese weitergeben können, bedeutet dies wiederum zusätzlich steigende Preise – also ein Anfeuern der Inflation und somit eine weitere Belastung für die Bürger.

Dies resultiert dann in einer Kaufzurückhaltung der Konsumenten, was man am folgenden Chart schön ablesen kann. Der GfK-Konsumklimaindex hat ein Allzeit-Negativrekord zu verzeichnen:

Beinahe die Hälfte (47,5 Prozent) der deutschen Unternehmen werden die Preise erhöhen. In der Lebensmittelindustrie werden fast alle Firmen die Kosten auf die Verbraucher abwälzen.

Entstanden sind die Gefahrenquellen für den Herzinfarkt der Wirtschaft durch die Kumulation von politischen Fehlentscheidungen der letzten Jahre aufgrund von Hybris, Selbstgefälligkeit und dogmatisch verblendeter Ideologien: Eine komplett fehlgeschlagene und überstürzte Energiewende; und Ideologie statt Pragmatismus.

Konsumentenklimaindex: Die Shopping-Laune ist im Keller. (Quelle GFK)5

Nun verkommt Deutschland immer mehr zum Geisterfahrer und Sonderling. Nicht nur sind wir das einzige Land in Europa mit Maskenpflicht und Corona-Massnahmen, nein, wir sind auch das einzige Land, welches sichere und funktionierende Atomkraftwerke abschaltet, während alle Staaten um uns herum ihre einschalten und gar neue AKWs bauen wollen. Dass jetzt auch noch die EU mit der Taxonomie Gas und Atom als «grün» eingestuft hat, ist ein weiterer Schlag ins Gesicht der deutschen Politik und de facto die totale Bankrotterklärung für die deutsche Energiepolitik der vergangenen Jahre.

Ukraine wird den Krieg vielleicht gewinnen oder verlieren – Deutschland hat ihn auf jeden Fall bereits verloren. Und die Sanktionen, die wirken – leider bei uns. Was nicht jeder weiss: Die Mehrheit der Welt-Gemeinschaft macht nicht mit bei den Sanktionen und betreibt weiter fröhlich Handel mit Russland. Dies nimmt dann solche groteske Züge an, dass wir über China oder Indien russisches Gas teuer einkaufen. Fakt ist: Die Sanktionen sind gescheitert und treffen uns am härtesten, während Putin mit seinen Gas- und Ölverkäufen soviel Geld verdient wie noch nie. Seine Einnahmen aus den Rohstoffverkäufen übertreffen die Kriegskosten bei weitem. All das wird nachhaltig die Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gefährden. Ebenso die Versorgungssicherheit, was unseren Wohlstand sowie den sozialen Frieden gefährdet.

Die daraus resultierenden Krisen und Probleme werden dann zumal noch so gerne von den Brandstiftern mit unseren Steuergeldern «gelöst», um sich auf die Schulter zu klopfen und als Feuerwehr feiern zu lassen. Absurd, aber leider wahr. Die Umverteilung und der Sozialismus sind en vogue. Der Bürger mutiert immer mehr zum unmündigen Abhängigen an der Zitze der Politik, der sich zweimal überlegt, ob er seiner Unzufriedenheit Ausdruck verleiht und die Hand beisst, die ihn füttert. Aus diesem Grund freut sich die Politik über Krisen und weiss diese geschickt zu nutzen. Zur Erinnerung: Wenn der Staat einem 300 Euro Energiegeld «schenkt», muss er das Geld woanders eintreiben – durch Steuern oder neue Schulden. Egal wie, wir Bürger zahlen dafür.

Russische Rohölexporte nach Ländern/Regionen, in Millionen
Barrels/Tag (Mbd). Für Putin läuft’s gut – zumindest wirtschaftlich. (Quelle Kpler)

Paradebeispiel für den Abschwung ist das einstige Zugpferd der deutschen Wirtschaft, die Automobilindustrie. Schon 2021 sank die Produktion um 11,7 Prozent, jetzt im 1. Halbjahr 2022 sind es nochmals 2,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Ob unsere Autofirmen den Transformationsprozess vollziehen und überleben, steht in den Sternen. Ebenso, ob die mobile Zukunft tatsächlich elektrisch ist und woher der dafür benötigte Strom (von den Rohstoffen fange ich erst gar nicht an) eigentlich kommen soll? Zur Wahrheit gehört auch: Grundlastfähig sind aktuell weder Sonne noch Wind.

Nicht nur in der Automobilindustrie sieht es düster aus. Mittlerweile schlagen die Industrie und das Handwerk Alarm. «Vielen steht das Wasser inzwischen bis zum Hals», so Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH).

Die Politik müsse rasch mit staatlichen Hilfen einspringen, sonst drohe eine Insolvenzwelle im Handwerk. Wie dramatisch die Lage ist, zeigt eine Umfrage des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) unter 835 befragten Unternehmen in Deutschland. Demnach sehen mehr als 40 Prozent der deutschen Mittelständler ihre Existenz bedroht.

Wenn Deutschland so weiter macht und sich deindustrialisiert, verliert es massiv an Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit, was Arbeitsplätze, soziale Sicherheit und Wohlstand kosten wird. Ein gutes Sinnbild der aktuellen Krise ist der verstaatlichte Energieversorger Uniper. Er hatte zu 50 Prozent auf russisches Gas gesetzt, was ihm zum Verhängnis wurde – der Konzern stand kurz vor dem Bankrott. Deutschland teilt dasselbe Schicksal: Wir haben uns ebenfalls zu 50 Prozent auf russisches Gas verlassen. Kommt nun die Pleite?

Noch hat die Politik Zeit, um den plötzlichen Herztod zu verhindern. Dazu bräuchte es mehr Realismus und weniger Ideologie und Dogmatismus. Dazu gehört auch das Eingeständnis, dass wir zum aktuellen Zeitpunkt weder auf die saubere Atomenergie noch auf die fossilen Energieträger verzichten können.

Ob die Verantwortlichen einsichtig werden, ist leider eher fraglich. Folgende Punkte wären wichtig, um Deutschland autark aufzustellen und eine Versorgungssicherheit für den Wirtschaftsstandort zu garantieren:

Den Krieg beenden durch Diplomatie und nicht durch Waffenlieferungen; die bestehenden Atomkraftwerke am Netz lassen und abgeschaltete AKWs reaktivieren; den Bau neuer Kernkraftwerke prüfen; Gasförderung und Gasfracking in Deutschland prüfen. Kohleabbau wieder starten; Geld in die Forschung stecken (Speicher, Wasserstoff usw.) erneuerbare Energien ausbauen; strategische Vorräte massiv ausbauen; verlässliche Energiepartnerschaften aufbauen; Sanktionen beenden.

* Marc Friedrich ist Autor mehrerer Bestseller und betreibt die Friedrich Vermögenssicherung GmbH.

Quelle: https://www.friedrich-partner.de/blog-post/ein-land-im-niedergang-deindustrialisierung-schreitet-voran-vom-exportweltmeister-zu-warmehallen-und-stromausfallen,
6. Oktober 2022

(Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors)

1 https://www.youtube.com/watch?v=qFBNdHZCyz8

2 https://www.marktundmittelstand.de/zukunftsmaerkte/aluminiumindustrie-warnt-vor-de-industrialisierung-deutschlands-1303281/

3 https://www.youtube.com/watch?v=tZyzwClmf2Q

4 https://www.bundesbank.de/de   (in Bildunterschrift Deutschland Erzeugerpreise)

5 https://www.gfk.com/de/home   (in Bildunterschrift Deutschland GfK Konsumentenklimaindex)

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